Die mustergültigsten und besten Vertreter einer Gattung sind vielfach dann entstanden, als deren große Zeit schon längst vorbei war. Die beste Doo-Wop-Band waren „Rocky Sharpe and the Replays” in den Siebzigerjahren, das beste Kino-Piratenabenteuer ist „Fluch der Karibik“ von 2003. Rennaissancen, Neo-Baustile, Revivals übertreffen oft ihre Ahnen.
Das liegt natürlich auch daran, dass es die Nachahmer leichter haben. Aus der zeitlichen Distanz können sie beurteilen: Was hat die Jahrzehnte überdauert, was macht den Charme eines Genres aus?
Gleiches gilt für „Das Geheimnis des weißen Bandes“, einen Sherlock-Holmes-Krimi von Anthony Horowitz aus dem Jahr 2011. An einem eiskalten Wintertag betritt ein Mann die Wohnung in der Baker Street 221B. Ein Londoner Kunsthändler, der die Rache einer irisch-amerikanischen Verbrecherbande fürchtet, wendet sich Hilfe suchend an Sherlock Holmes. Im Lauf der Ermittlungen stößt dieser auf dunkle Machenschaften, kann zwei Morde nicht verhindern und wird sogar selbst zum Verdächtigen.
Horowitz hat seinen Doyle gründlich studiert. Alles ist stimmig, der Stil, die Atmosphäre, der Nebel, die Droschkenfahrten, die Londoner Elendsgestalten, der unbedarfte Dr. Watson. Und natürlich Holmes und seine Methoden, die Beobachtung noch so kleinster Details, die waghalsig erscheinenden Schlussfolgerungen, die zuweilen arrogante Auftritte. Horowitz trifft es und übertrifft sein Vorbild dabei, ohne dass das Ganze prätentiös oder überfrachtet wirkt. Er geht noch weiter als Doyle, verpackt mehrere Fälle in einen, lässt seine Helden in noch viel tiefere Abgründe blicken als es sein Vorgänger es mehr als ein Jahrhundert zuvor getan hat.
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