Freitag, 14. Februar 2025

Markus Walther: Buchland

In letzter Zeit habe ich eine ganze Reihe Romane über Buchhandlungen, Bücherliebe und die Lust am Lesen begonnen - und wieder weggelegt. Ich bin dabei so unerträglich viel Seichtem, Belanglosem und Klischeehaften begegnet, dass es fast nicht auszuhalten war. Nun endlich ein kleiner Lichtblick. Diesen Fantasyroman, erschienen 2013, habe ich bis zum Ende gelesen. 

Zwar ist er kein Meisterwerk wie Walter Moers' Stadt der Träumenden Bücher oder Michael Endes Unendliche Geschichte, aber stellenweise ein vertracktes Vexierspiel, ein bibliophiles Puzzle, das durchaus Spaß bereitet. Gespickt mit Zitaten und literarischen Anspielungen ist es eine hübsche Hommage an das Medium Buch.

Darum geht's: Der Ich-Erzähler ist ein Antiquar namens Plana. Im Keller seines Antiquariats eröffnet sich ein unendliche, fantastische Welt mit eigener Realität, in der Bücher sprechen und handeln - das Buchland. Plana ist ein "Auktoral, ein Mittler zwischen den Welten. Seine unglückliche Angestellte Beatrice Liber, eine gescheiterte Buchhändlerin, und deren Mann Ingo, ein Alkoholiker im Endstadium, reisen gemeinsam mit ihm durch das Buchland.

Minuspunkte: Niemand sollte sich hier sprachliche Höhenflüge erwarten. Leider häufen sich schiefe Bilder auf kitschige Klischees und philosophische Erkennnisse auf Coelho-Niveau. Manches ist belanglos, vieles geschwätzig, stellenweise wurde hier etwas unsauber lektoriert, was den Ausdruck und Rechtschreibung ("Das handzahme Flämmchen hatte mir die Haut versenkt.", "Hier ist der Kreissaal der Literatur") angeht.

Mit mehreren Zamonien-Romanen von Walter Moers hat dieses Buch dennoch etwas gemeinsam, nämlich, dass die wirklich tragfähige Handlung fehlt. Obendrein stimmt auch das Timing nicht immer: In dem Augenblick, da der Ich-Erzähler blitzschnell handeln muss – es geht um Leben und Tod – findet er Zeit, eine reich mit literarischen Motiven verzierte Jugendstilsäule zu betrachten und zu beschreiben. Solche retardierenden Elemente können funktionieren – aber nur, wenn die handelnde und die erzählende Person nicht identisch sind. Sonst sind sie unglaubwürdig und werfen aus der Handlung. 

Trotzdem: Dieser Roman bietet viele Ideen, unendlich viel Fantasie, ein bisschen Genie. Ich meine es ernst, wenn ich schreibe: Die Welt und die deutsche Sprache wären ein Stück ärmer ohne dieses Buch. Den zweiten Teil des als Trilogie angelegten Werks werde ich vielleicht irgendwann lesen. Jetzt erst einmal nicht. 

Dienstag, 31. Dezember 2024

Doris Dörrie: Die Reisgöttin

"Es gibt ein Mittel gegen die Einsamkeit, die einen plötzlich in einer fremden Stadt überfällt: etwas kaufen: eine Ansichtskarte, einen Kaugummi nur, einen Bleistift oder Zigaretten: etwas in die Hand bekommen, teilnehmen am Leben dieser Stadt, indem man etwas kauft..."
Heinrich Böll: Irisches Tagebuch 


Daran musste ich denken angesichts Doris Dörries 47 kleiner autobiographischer Kapitel, in denen sie Fundstücke präsentiert. Mitbringsel aus aller Welt, die als Habseligkeiten Teil ihrer Lebenserzählung wurden. Vielleicht ist dieses Kaufen ja ein Stemmen gegen die Einsamkeit einer Zeit, in der es zu jeder Zeit möglichst ist, an jedem Ort der Welt zu sein. Aber eben nur virtuell.

Dörrie besitzt eine japanische Feuerwehrmütze, vMokassins aus dem amerikanischen Westen, ein Gehirn-Modell aus dem Iran, Waschseife aus den USA, ein Zigarillo aus Kuba, der perfekte Gurkenhobel, eine mexikanische Wrestlermaske, aber auch vom Meer geschliffene Glasstückchen oder ein von ihrem Vater getöpfertes Nilpferd… 

Natürlich sind es nicht die Dinge selbst, sondern die Geschichten, Gedanken, Gefühle, immer: die Menschen dahinter. Dörrie ist nicht nur eine große Sprachzauberin, sondern auch eine sehr humorvolle Menschenkennerin. Sie geht mit weit geöffneten Sinnen durch die Welt. Und das macht dieses Buch - es beinhaltet obendrein eine geniale Philosophie der Flohmärkte und Betrachtungen über die sogenannte kulturelle Aneignung, die doch eigentlich eine Bereicherung ist - so lesenswert.

Montag, 30. Dezember 2024

Sahner/Stähr: Die Sprache des Kapitalismus


Für ihr Buch, in dem sie der Sprache des Kapitalismus auf den Grund gehen, haben der Literaturwissenschaftler Simon Sahner und der Ökonom Daniel Stähr dieses Jahr den Leserpreis beim Deutschen Wirtschaftsbuchpreis erhalten. Besagte Sprache, die voll und ganz auf ein einziges Wirtschaftssystem – den Kapitalismus – gemünzt ist, beherrscht allgegenwärtig Massenmedien, Internet, Politik und Werbung. Für die meisten von uns ganz unbewusst.

Wie die Autoren aufzeigen, kommt diese Sprache eingängig, reißerisch und sexy daher. Der Kapitalismus erzählt gerne Geschichten: von Selfmade-Milliardären wie Steve Jobs oder Elon Musk, die es mit Genie, Leistung, harter Arbeit und den richtigen Ideen zum richtigen Zeitpunkt zu sagenhaftem, erstrebenswertem Reichtum gebracht haben. Und von Armen, die faul sind und dem Sozialstaat auf der Tasche liegen.

Der Kapitalismus liebt einprägsame Metaphern, etwa vom Erdbeben an den Märkten oder dem Finanz-Tsunami. Metaphern, die gleichzeitig ein Ausgeliefertsein an unbeherrschbare Kräfte suggerieren. Der Markt, so das kapitalistische Narrativ, führt ein Eigenleben und agiert mit „unsichtbarer Hand“. Solches beobachten die Autoren, wenn die Rede von „steigenden“ Preisen oder Mieten ist, wenn Märkte „beruhigt“ werden müssen, wenn staatliche Markteingriffe als unnatürlich erscheinen. 

 Diese Sprache, die oft von handfesten wirtschaftlichen Interessen getrieben ist, verschleiert, dass Alternativen existieren und Wohlstand für viele nicht zwingend ein kapitalistisches System voraussetzt. Und, dass es in komplexen Wirtschaftskreisläufen immer Handelnde gibt, die Vorteile haben: Preise und Mieten steigen nur, wenn sie jemand erhöht. 

 Die Autoren, die außer zahllosen Beispielen wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen einfließen lassen, schlagen vor, über postkapitalistische Alternativen nachzudenken. Konkret nennen sie Ulrike Herrmanns in Das Ende des Kapitalismus skizzierte Idee von eines von der Kriegswirtschaft inspirierten Wachstums-Gegenmodells, einen demokratischen, lokal orientierten Degrowth-Kommunismus und ein mithilfe von KI und Big Data zentral geplantes Wirtschaftssystem. 

 So weit, so einleuchtend. Aber auch so schnell erzählt. Deshalb wälzen die Autoren auf diesen rund 300 Seiten vieles breiter aus als nötig, Doppelungen sind häufig in diesem akademisch gründlichen, mit etlichen Fußnoten versehenen Text. Konsequenterweise legen sie Wert auf geschlechtergerechte Sprache und gendern mit einem Sternchen. Das ist dem Lesefluss nicht immer zuträglich, hier aber im Sinne der Glaubwürdigkeit angebracht. 

 Simon Sahner, Daniel Stähr: Die Sprache des Kapitalismus. 304 Seiten Verlag S. Fischer, 24 Euro.


Erschienen in: Wirtschaft Regional, Dezember 2024

Sonntag, 22. Dezember 2024

Kai Meyer: Die Bibliothek im Nebel

Ein bibliophiler Roman des Viel- und Bestsellerschreibers Kai Meyer, abwechselnd erzählt in den Jahren 1917, 1928 und 1957. Schauplätze sind Sankt Petersburg, Leipzig, die Côte d’Azur, Paris, ein Ostseeschiff und das finnisch-sowjetische Grenzgebiet. Im Mittelpunkt steht Mara, ein Mädchen aus Karelien, dass sich für barbarischen Missbrauch ebenso grausam rächt. Gut, dass ihr vergiftete Tinte aus einer „Narrenbibel“ in die Hände gefallen ist. Kennen wir das nicht aus „Der Name der Rose“? 

Klar, hier dürfen nicht allzu hohe Ansprüche an lebendige Sprache gestellt werden. Die gewählten Bilder sind oft schief, die vielen, vielen Klischees ärgern ein wenig. Macht nichts, einfach schnell drüber weg lesen. Aber, dass der Mann Bestseller schreibt, kommt nicht von ungefähr.

Hier passt nämlich vieles einfach perfekt: das Timing stimmt, die perfekte Komposition von Spannungsbögen erinnert an Carlos Ruiz Zafon oder Guillaume Musso. Dazu wartet er mit wunderschönen Szenerien auf: eine riesige Bibliothek in einer verfallenen Schlösschen an der französischen Mittelmeerküste, eine unheilvolle Wahrsagerin, mordende Menschenhändlerbanden, ein Puppentheater, eine Fahrt auf dem Seelenverkäufer, nimmermüde Druckereien und viele Bücher - darunter ganz prominent Georg Heyms Umbra vitae.Unterhaltsam! Leseempfehlung.

Sonntag, 1. Dezember 2024

Haruki Murakami: Honigkuchen

Der Schriftsteller Junpei erzählt der kleinen Sara die Geschichte vom Honigbär Masakichi, um sie von ihren Albträumen rund um den grausigen Erdbebenmann zu beruhigen. Sara ist das Kind von Jumpeis Jugendliebe Sayoko und seines besten Freundes.

Junpei glaubt, das Beste verpasst zu haben. Doch dann geht ihm auf, dass er die Geschichten anders erzählen und enden kann - die Geschichte vom Honigbär, seine anderen Kurzgeschichten, aber auch die der mittlerweile getrennt lebenden Sayoko, die von Sara - und seine eigene.

Murakami beschwört in seiner typisch holzschnittartigen Sprache die tiefe Wahrheit herauf, dass uns die Dinge eigentlich immer erst beim zweiten oder dritten Mal gelingen. Und Kat Menschiks Illustrationen treffen - so seltsam sich das in diesem Zusammenhang anhört - perfekt den Ton.

Dienstag, 26. November 2024

Sarah Brooks: Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland

Wirklich lesenswerte, gut geschriebene Steampunk-Fantasy. Ende des 19. Jahrhunderts durchquert der Transsibirien-Express auf seinem Weg von Peking nach Moskau das riesige, verlassene Ödland zwischen China und Russland.

Der Zug und das Ödland. Zwei Welten, die einander fremd sind. Beide gehorchen jeweils eigenen physikalischen Gestzen. Wehe, wenn die eine Welt in die andere eindringt. Das würde beide Welten instabil machen, zusammenbrechen lassen. Doch genau das, so gehen Gerüchte in der verschworenen Gemeinschaft der Zugreisenden um, soll passiert sein. Wuchert wirklich das Ödlamd wie ein unsichtbares Pflanzen- und Farngeflecht durch die scheinbar absolut dichten - weil tausendfach geprüften -  Ritzen des Zuges hinein?

Beide Welten schaden sich gegenseitig offenkundig und verzehren sich doch nacheinander. Etwa in Gestalt des in Ungnade gefallenen Forschers Grey, der die Außenwelt erkunden will, oder von Valentin Rostow, Autor eines Handbuchs für Reisende durch das Ödland, der diesem verfällt - und andererseits der rätselhaften blinden Passagierin Elena, die von draußen kommt und mit dem im Zug geborenen Mädchen Weiwei eine tiefe Verbundenheit eingeht. 

Oder ist die gewaltsame, gegenseitige Abschottung irgendwann zu Ende? Wie weit muss der Zug dafür fahren?

Das Buch schiebt sich wie der Zug durch eine nicht zu fassende Welt - das Unterwegssein in der Fremde ist Thema dieser wunderschönen, poetischen Lektüre.


Donnerstag, 14. November 2024

Martin Suter: Melody

Wieder ein Suter, wieder ein gelungener, unterhaltsamer Krimi. Diesmal geht es um das mysteriöse Verschwinden von Melody kurz vor der Hochzeit - und die lebenslange, weltweite  Suche ihres Verlobten Dr. Peter Stotz nach ihr - seiner großen Liebe. 

Dr. Stotz' (ja, er wird ständig mitsamt  seinem akademischen Grad erwähnt) ist Schweizer Parlamentsabgeordneter (Nationalrat), Geschäftsmann, wohlhabend, einflussreich und kann sich alles - und jeden - kaufen. Doch bei der Suche nach der Buchhändlerin Melody, die wegen ihrer Liaison mit dem 20 Jahre älteren Dr. Stotz von ihrer marokkanischen Familie verstoßen wurde, hilft ihm das nicht. Gegen Ende seines Lebens beauftragt er den jungen Juristen Tom Elmer, sein Leben in seinem Sinne zu dokumentieren - gegen fürstliche Bezahlung, natürlich.

Tom erlebt Stotz' Lebensgeschichte nach und begibt sich selbst auf die vertrackte Suche nach Melody. Natürlich kommt alles anders und die Handlung schlägt mehrere Volten. Suter, der meistbesprochene Autor in diesem Blog, hat Besseres und Schlechteres geschrieben, aber diesmal stimmt vor allem das Timing perfekt. Detaillierte Beschreibungen von bezaubernden Landschaften, luxuriöser Kleidung, ausschweifendemEssen und vor allem Trinken streut der Erzähler immer genau dann ein, wenn der Leser es vor Spannung und Erwartung nicht mehr aushält. So funktioniert das.