Sonntag, 30. November 2025

J. K. Rowling / J. Thorne: Harry Potter and the Cursed Child

Mit diesem Theaterstück haben Joanne K. Rowling und ihre Co-Autoren, John Tiffany und Jack Thorne 2016 eine gelungene kleine Fortsetzung der Harry-Potter-Saga geschaffen. 

Harry-Potter-Geschichten sind per definitionem große Würfe. Diesmal drehen Rowling & Co am ganz großen Zeitreise-Rad. Harry Potters zweiter Sohn Albus Severus, der vom sprechenden Hut in das Slytherin-Haus einsortiert wird, freundet sich mit Draco Malfoys Sohn Scorpio an - und entfremdet sich von seinem Vater. Mithilfe einer Zeitmaschine, die sie an verschiedene Zeitpunkte der siebenbändigenHarry-Potter-Romangeschichte transportiert (allem voran das trimagische Turnier aus Band 4) möchten sie Unrecht, das Albus‘ Vater angerichtet hat, ausbügeln.

Natürlich verschlimmbessern sie es. Und natürlich schlägt in diesem Stück die Logik von Kategorien wie Vorher und Nachher, Ursache und Wirkung, Entscheidungen und Konsequenzen Purzelbäume. Deshalb liebe ich Zeitreisen auch so. Bislang gab es eine einzige davon im Harry-Potter-Band 3 (auch aus diesem Grund mein Lieblingsband). Nun wird das Thema Zeitreise im perfekten Theater-Stil ausgekostet, auf seinen philosophischen wie komödiantischen Gehalt abgeklopft. Wieder sprüht Rowling vor Ideen. 

Allerdings habe ich das Stück nicht gesehen, nur das Skript zu lesen ist sicherlich das halbe Erlebnis. Was fehlt ist all das, was Theater über den reinen Text hinaus ausmacht - aber auch das, was ein Roman an Hintergründigem, Ungesagtem und Unsichtbarem vermitteln kann.

Dienstag, 25. November 2025

Stephen King: Das Leben und das Schreiben

Stephen Kings im Jahr 2000 erschiene Autobiografie, die auch seine gesammelten Gedanken über das literarische Schreiben beinhaltet.

Ich muss sagen: Gottseidank ist der autobiografische Teil recht kurz geraten, er interessiert mich einfach nicht. Ja, King liefert Bekenntnisse über seine überwundene Alkohol- und Drogensucht (für Kokain macht er leider sogar so etwas wie unfreiwillige Werbung: "Im Frühjahr und Sommer 1986 verfasste ich Das Monstrum, arbeitete oft bis Mitternacht mit einem Herzschlag von 130/min und Tamponaden in den Nasenlöchern um das vom Kokain hervorgerufene Bluten zu stillen.) 

Ich denke trotzdem: Das ist ist eher etwas für ausgewiesene King-Fans, die wirklich alles über ihren Lieblingsautor erfahren möchten. 

Aber auch die lieben ja sein Werk, nicht die Person. Und deshalb liest sich der größere Teil dieses Buches, der als eine Art Schreibschule daherkommt, viel spannender. Denn wenn King eines beherrscht, dann ist es: packend Schreiben. 


Ein paar seiner Tipps:

  • Nehmen Sie das erste Wort, das Ihnen einfällt, wenn es passt und anschaulich ist.
  • Jeden Tag 10.000 Wörter schreiben. 
  • Sich die Frage "Was wäre, wenn" stellen
  • Wichtiger als literarische Qualität ist eine fesselnde Geschichte, die zum Umblättern zwingt 
  • "Geschichten sind Überbleibsel, Teile einer noch unentdeckten, seit jeher bestehenden Welt."
  • Figuren in eine missliche Lage versetzen und ihnen zusehen, wie sie sich zu befreien versuchen
  • statt sich an seinen Beschreibungskünsten zu berauschen, sollte der Autor den Ball im Spiel halten
  • Gute Vergleiche: "Es war dunkler als eine Wagenladung Arschlöcher" (George V. Higgins); "Ich zündete mir eine Zigarette an, die wie das Taschentuch eines Klempners schmeckte." (Raymond Chandler)
  • Ein Dialog ist gut, wenn der Leser ein schlechtes Gewissen hat, weil er ihn heimlich belauscht
  • Eine Geschichte ist gut, wenn sie organisch entsteht, sich natürlich aus der anfänglichen Situation ergibt
  • Handlungen müssen aufrichtig und glaubwürdig sein, sonst fallen sie in sich zusammen
  • Gute Prosa beginnt mit der Geschichte und entwickelt daraus die Thematik
  • Kill your darlings, alles streichen, was langweilig ist 
  • Wer keine 10 Prozent streichen kann, hat sich nicht genügend angestrengt
  • Recherche gehört so weit wie möglich in den Hintergrund - interessant sind die Figuren und ihre Geschichten


Sonntag, 23. November 2025

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt

Nach Der Donnerstagsmordclub, Der Mann der zweimal starb sowie Die verirrte Kugel (lese ich auch noch irgendwann) der vierte Band aus der Reihe um die ermittlungslustigen Rentner Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron in ihrer englischen Seniorenwohnanlage. 

Diesmal geht es um verschwundenes Heroin in einem mysteriösen Kästchen, Klein- und Großkriminelle, karrieregeile Polizistinnen und gleichzeitig auch - wie in dieser Reihe üblich nicht ausgespart - sehr lesenswert um Demenz und Sterbehilfe. Die Handlung ist ganz ok. Könnte vielleicht noch ein bisschen raffinierter sein. Aber die Thematik gefällt mir.

Früher habe ich öfter ganz gerne die Fernsehsendung Bares für Rares geguckt. Ich interessiere mich eben schon irgendwie für alte Gegenstände und ihre Geschichten, aber auch das Geschäft damit. Leider wurde das Konzept so totgeritten, dass mittlerweile auch der letzte Soßenlöffel aus von deutschen Dachböden im Fernsehen vorgezeigt wurde. Ich kann die Sendung nicht mehr ertragen, finde aber Antiquitäten und das Geschäft damit weiterhin spannend. Deshalb fand ich dieses Buch unterhaltsam. Das Thema passt eben auch gut zu einem englischen Krimi.

Dienstag, 18. November 2025

Christian Kracht: Air

Christian Krachts Romane mögen vieles sein, belanglos sind sie nicht. Air ist ein großer Gesang.

Dekorateur Paul lebt auf den Orkney-Inseln und reist für einen vielversprechenden Auftrag ins norwegische Stavanger: Im Auftrag eines Designmagazins soll er ein gigantisches Rechenzentrum in perfektem Weiß streichen lassen. Ästhetische Reduktion und Minimalismus sollen zum Extrem getrieben werden, in einer Zeit, da alles Wissen, alle Erinnerung nur noch in einer virtuellen Wolke existierten.

Dann kommt es zu einer außergewöhnlich intensiven Sonneneruption und die  Rahmenhandlung gleitet aus einer wie von Martin Suter erschaffenen Welt elegant hinüber in ein wunderschönes, grausames Eismärchen (das offenbar von Astrid Lindgrens "Die Brüder Löwenherz" inspiriert ist). Paul findet sich in einer Welt,, die „auf harmonische Weise flacher“, zweidimensionaler wird.

Gedanken dazu: Diese flache, aufgeräumte zweidimensionale Welt, in der nichts Schmutziges wuchert, ist wie die Musik von Johann Sebastian Bach. Und auch die gibt gerade durch ihre Kälte Trost. 

Und noch etwas: Kracht ist kein Schweizer, er ist ein zutiefst norddeutscher - oder auch nordischer - Schriftsteller. Das oberdeutsche, alemannische - nennt es meinetwegen rätische - Fühlen und Beschreiben ist ihm fremd. Mehr Hamsun als Robert Walser, aber zuvörderst etwas Eigenes, Christian Kracht der Jüngere.

Dienstag, 28. Oktober 2025

Jerome D. Salinger: Der Fänger im Roggen

Ja, ich weiß, Ihr findet das Buch alle großartig. Ihr habt es bestimmt auch alle gelesen, darum nehmt Ihr es ja auch regelmäßig in Eure Kanons der besten, wichtigsten und umwerfendsten Bücher auf Gottes weitem Erdboden auf. Deshalb erzähle ich Euch jetzt nichts über den Inhalt. Ihr kennt ihn. Wenn nicht, könnt ihr ihn überall nachlesen oder von KI erzählen lassen.

Manches ist gut. Und 1951 war das sicher eine große Nummer, dass einer so schrieb (wie Mark Twain schon 70 Jahre vor ihm). Aber was mich deprimiert, ist, dass der gute Salinger das ganze verdammte Buch erst geschrieben hat, als er 32 war. Warum schreibt er es dann aus der Sicht eines 16- oder 17-Jährigen? Er schreibt es auch nicht so, wie er es mit 17 geschrieben hätte, sondern so, wie es ein 32-Jähriger mit 17 gerne geschrieben hätte.

Es ist nämlich so: Mit 32 ist man nicht intelligenter als mit 17, sondern dümmer. Mit 32 weiß man vielleicht besser, was die Leute von einem hören wollen. Aber intelligenter ist man mit 17. 

Die Hackordnung beschreibt er gut. Salinger ist einigermaßen in Ordnung, wenn man ihn als 32-Jährigen sieht, der über das Leben eines 32-Jährigen schreibt. Aber seine ganzen verdammten Schnöselsöhnchen-Popliteraten-Nachmacher-Ärsche, die machen mich fertig. Schon immer. Sie sind wie Carl Luce, mit dem sich Holden kurz mal trifft. Exakt so. 

Mittwoch, 22. Oktober 2025

Daniel Kehlmann: Geister in Princeton


Das hier besprochene Hörspiel beruht auf Daniel Kehlmanns gleichnamigem Theaterstück von 2011 und wurde 2013 veröffentlicht.

Im Mittelpunkt steht der österreichische Mathematiker und Philosoph Kurt Gödel, der mit seinem Unvollständigkeitssatz die Logik revolutionierte. Schlaglichter fallen auf verschiedene Lebenssituationen, in denen Gödel selbst teils nur als Geist anwesend ist.

Im Lauf der Szenerie flüchtet der Gelehrte aus Wien vor den Nationalsozialisten – über die sowjetisch kontrollierte Mongolei – in die USA, lehrt schließlich an der Universität Princeton. Begegnungen mit anderen Genies, etwa John von Neumann und Albert Einstein, sind skizziert.

Ein herkömmliches Logikverständnis stößt beim Verfolgen dieses Hörspiels an seine Grenzen. Paranoia und eine von der Norm abweichende Vorstellung von Rationalität bestimmen zunehmend Gödels Denken. Immer wieder melden sich Geister zu Wort; Gödel kommuniziert mit ihnen und sieht sich von ihrer Präsenz umgeben. Paranoide Gedanken und Zwangsvorstellungen – etwa die panische Angst, vergiftet zu werden – durchziehen sein Fühlen.

Aufgehoben ist auch die Vorstellung von Zeit als einer Abfolge. Gedanken blitzen unvermittelt und jenseits jeglicher chronologischer Ordnung auf. Gleichzeitigkeit und sich wandelnde Abfolgen bestimmen die Wahrnehmung Gödels, der ja selbst die theoretische Möglichkeit von Zeitreisen bewiesen hat.


Sonntag, 24. August 2025

Laura Dave: Beschütze sie

Tja, im Großen und Ganzen eine Enttäuschung. Vielleicht liegt es daran, dass dieses Buch großkotzig als "Thriller" umschrieben wird, was es nicht ist. Dabei beginnt es ganz gut, bis es dann, etwa zur Hälfte, ins Bodenlose der Langeweile absackt.

Hannahs Ehemann Owen ist verschwunden. Hat sein Verschwinden mit den Ermittlungen gegen die Softwarefirma zu tun, in der er arbeitet? Dort soll es zu unsauberen Börsengeschäften gekommen sein. Aber ist Owen wirklich darin verwickelt? Und selbst, wenn: Warum verlässt er Hannah und seine leibliche Tochter Bailey, Hannahs Stieftochter, Hals über Kopf und ohne Vorwarnung? Hannah und die 16-jährige Bailey, die ein nicht gerade inniges Verhältnis verbindet, machen sich gemeinsam auf die Suche nach Owen.

Die Suche an sich, eine Schnitzeljagd von Hinweis zu Hinweis, ist schon ok. Auch, wenn die entscheidende Spur - ein Geheimpolizist hinterlässt seine Festnetznummer, worauf die beiden erst auf die Stadt kommen, in der sie suchen müssen - ein bisschen konstruiert ist. Aber dann: Ungefähr zur Hälfte informiert eine einfache Internetrecherche über die wahren Hintergründe von Owens Verschwinden. Und im Rest des Buches passiert schlicht: gar nichts mehr. Schade.