Freitag, 13. Juni 2025

Meike Winnemuth: Bin im Garten

Ich weiß nicht, was ich mir von diesem Buch erwartet habe. Auf jeden Fall nicht, dass es so gut ist. Ich hatte ja schon von dieser Autorin gehört, die bei Jauch eine halbe Million gewonnen hat, danach auf Weltreise ging und dann das Gärtnern für sich entdeckt hat. Da mich dieses Thema interessiert, habe ich es mir zu Gemüte geführt. Und ich muss sagen: Lohnt sich.

Die Autorin lebte 2018 ein Jahr lang in einem kleinen Häuschen mit großem Garten an der Ostseeküste und führte von Januar bis Dezember ein originelles Gartentagebuch. Der Rückzug in Garten und Natur eignet sich wie kaum etwas, um über das Leben, die Rolle des Menschen darin, Arbeit, Wachsen, Ziele, Lernen, Scheitern, Vergänglichkeit und vieles mehr zu philosophieren. Nicht umsonst wird gleich zu Beginn auf Henry David Thoreau und seine Einsiedelei am Walden Pond Bezug genommen. 

Zu den Beschreibungen und Betrachtungen gibt es natürlich eine Menge praktischer Gartentipps. Wobei die gar nicht so im Vordergrund stehen, es ist ja kein Ratgeber. Dafür habe ich Gartenlesetipps (Die Wurzeln der Welt von Emanuele Coccia) und Gartenfernsehtipps (BBC Gardener‘s World) mitgenommen. 

Was man sagen muss: Meike Winnemuth steckt in diesen Garten eine Menge eigenes Geld rein. Lässt vielfach den Boden ausbaggern, Pflaster verlegen, großes Pflanzenmaterial ankarren. Aber es ist eben ein Jahr lang ihr Fulltimejob. Und in diesem Jahr muss alles passieren, ehe sich Frau Winnemuth wieder anderen Projekten zuwendet. Also ist es eher das Format, das nicht zu meiner persönlichen Philosophie vom Gärtnern passt,  ja sogar eher das Gegenteil ist.

Was ist meine Philosophie? Na, dass ein Garten ein lebenslanges Projekt ist. Und ein sanfter Begleiter, dem man nicht mit Gewalt kommen sollte. Die Natur sitzt immer am längeren Hebel. Ihn mit Hauruck-Aktionen auf die eigenen Bedürfnisse zu trimmen, funktioniert nicht. Oder irgendwie doch, aber konsequent weitergeführt landet man dann irgendwann beim Kiesgarten. Oder man betreibt eine Landwirtschaft. 

Vielleicht sind Winnemuths kostspielige Aktionen einfach nötig, wenn man so ein Mammutprojekt in ein kompaktes Gartentagebuch-Jahr packen muss. Denn eigentlich ist ja auch ihre Philosophie eine geerdete: Einfach machen, das klappt schon. Und wenn es nicht klappt, dann klappt etwas anderes.

Einfach sehr sympathisch mit angenehmem und geistreichem Humor verfasst. Und wer dann auch noch Kurt Tucholsky zitiert, kann keine ganz schlechte Autorin sein. 


Sonntag, 8. Juni 2025

Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita

Der Meister heißt Meister, weil er einen Roman geschrieben hat - und dieser hat die wahre Geschichte des unglücklichen Pontius Pilatus erzählt. Im kommunistischen Moskau wird sein Roman jedoch von der Kritik zerrissen - besonders ein gewisser Latunski tut sich hier unrühmlich hervor. Den Meister zerstört das so sehr, dass er sein Manuskript vernichtet und in der psychiatrischen Klinik landet. Nicht einmal seine Geliebte Margarita weiß, dass er sich dort aufhält.

Glücklicherweise taucht der satanische Deutsche Voland samt einem Gefolge von Teufeln auf und wirbelt das Heuchlertum im stalinistischen Moskau - das sich nur mit einer absurden „Säuberungswelle“ zu helfen weiß - ordentlich durcheinander. Margarita aber darf mit ihrer Hilfe zur Hexe werden, nackt auf einem Besen durch Russland fliegen, Latunskis Wohnung verwüsten und schließlich den Meister wieder treffen. Die Teufelsclique ermöglicht ihm an der Seite von Margarita die Ruhe, die er braucht, um seinen Roman zu vollenden - und so darf der alte Pilatus endlich mit seinem Hund über die Mondstraße zu dem Mann gehen, den er verurteilt hat.

In diesem faustischen Werk von Michail Bulgakow steckt so viel, dass gar keinen Sinn ergibt, sich hier in Deutungen zu ergehen. Es geht als eigenständiges Kunstwerk durch, das für sich selbst spricht. Beziehungsweise: Die Gedanken so gut ausdrückt, dass jede Interpretation nur eine Krücke wäre - nur die zweitbeste Art, es zu sagen. Wer das nicht wahrhaben will, dem geht es wie meinem Deutschlehrer. Aber das ist halt meine Meinung. Selbst lesen. Literatur statt Sekundärliteratur, Bücher statt Blogs. Denn Manuskripte brennen nicht.

Donnerstag, 5. Juni 2025

Gustave Flaubert: Bibliomanie

Eine kleine Schrift des damals 15-jährigen Gustave Flaubert. Schauplatz Barcelona im 19. Jahrhundert. Der  abtrünnige Mönch Giacomo ist voll und ganz den Büchern verfallen. Der Wahn, das eine, geliebte Buch zu besitzen bringt ihm und allen, die damit in Berührung kommen, Verderben und Tod.

Wenn Menschen heute auf Social Media stapelweise Bücher vorzeigen, die sie nie und nimmer gelesen haben können, dann ist das nicht neu. Hier ist einer, der gar nicht einmal lesen kann. Es geht ihm nur um das Äußere der Bücher. Auch wenn man sagen könnte, dass das ja nicht verwerflich sei, so ist es doch der Kern dieser Geschichte. Diese Giacomo versündigt sich an den Büchern, weil er ihr Inneres missachtet.

Diese etwas wirre Geschichte um einen wirren Geist wird durch die fantastischen Illustrationen von Burkhard Neie auf eine andere Ebene gehoben. Neue kombiniert Kalligrafie, Typographie (Aldo Manuzio ist unverkennbar), Comic und Linolschnitt-Ästhethik und beschwört in Braunschattierungen die ganze bedrückende Düsternis herauf, die diese Erzählung ausmacht. 

Erschienen in der Insel Bücherei in einem kleineren als dem jahrzehntelang üblichen Format. Ich habe selten ein schöner gestaltetes Buch gesehen. Ein Hand- und Augenschmeichler. Giacomo hätte seine Freude.

Sonntag, 4. Mai 2025

Friedrich-Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand

In diesem Buch von 2009 lässt der 2022 verstorbene Friedrich-Christian Delius Konrad Zuse (1910 -1995), den verkannten Berliner Erfinder des Computers aufleben und erzählen. Der fiktive Zuse sitzt mit einem Journalisten in einem hessischen Landgasthof und spricht bis in den frühen Morgen hinein ein Monolog über sein Leben auf dessen  Ba Er berichtet, wie er seine Rechenmaschine in Kreuzberg entwickelt hat und diesen nach dem Kriegsende nach Westdeutschland, rettete wo er sich anschließend eine Existenz als mittelständischer Unternehmer aufbaut - hier hält sich Delius an Zuses echte Biografie.

Neu - und das ist die „Enthüllung“: Delius sucht die Frau. Und findet die Frau. Die Frau für die Zuse den Rechner erfand, und für die er alle damit verbundenem Strapazen auf sich nahm, ist Ada Lovelace: Die englische Mathematikerin, Tochter Lord Byrons, soll 100 Jahre vor Zuse das Programmieren vorausgedacht haben. Er stellt sie als seine große Liebe vor, die ihn alle Hindernisse überwinden und an seinem großen Ziel festhalten lässt. 

Na ja. Darf er ja. Ist aber jetzt nicht so unerhört, wie uns der Zuse-Erzähler einhämmern will. Da haben andere in der Literatur schon ganz andere Dinge, Automaten, Maschinen, Gegenstände und künstliche Seelen geliebt. Aber es hat wohl auch seinen Grund, warum dieser Roman nicht in die Geschichte eingegangen ist - anders als Zuses Erfindung.

Sonntag, 27. April 2025

Shaun Bythell: Tagebuch eines Buchhändlers

Haha, das ist wirklich ein gutes Tagebuch: Der Schotte Shaun Bythell erweist sich in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahr 2014 als Prototyp des misanthropischen Antiquars, der mir schon so oft über den Weg gelaufen ist. Alles geht den Bach runter  - das kann nicht oft genug betont werden, und Schuld sind natürlich die unausstehlichen Kundinnen und Kunden.

 Wobei ich fast nicht glauben kann, dass Bythell das wirklich alles erlebt hat. Die Menschen, die seinen Buchladen betreten, sind anscheinend durchweg geizig, vorlaut, rechthaberisch, präpotent und rücksichtslos. Sie schmeißen wertvolle Bücher herum, feilschen, machen schlechte Witze, nerven mit ihren Lebensgeschichten, erweisen den Büchern und nicht zuletzt dem Antiquar selbst einfach nicht den Respekt, der ihnen zusteht. Super amüsant - und einfach auch brillant lakonisch erzählt. 

Nebenbei ist noch sehr viel über Bücher, Literatur, Buchhandel und Buchkultur zu erfahren. Ich greife gleich zum zweiten Band.

Dienstag, 22. April 2025

Arne Jysch/Volker Kutscher: Der nasse Fisch

1929: Polizeikommissar Gereon Rath hat es aus Köln nach Berlin verschlagen. Er wird dem Sittendezernat zugeteilt, möchte aber wieder in die Mordinspektion. Leider hindert ihn sein unrühmlicher Abgang aus Köln daran. Dann kommt er dunklen Machenschaften auf die Spur, die nach organisierter Kriminalität riechen und beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln. Inzwischen fast schon eine altbekannte Geschichte, Volker Kutschers Roman Der nasse Fisch wurde nicht nur von Arne Jysch in diese packende Graphic Novel verwandelt, sondern als Serie Babylon Berlin kurz darauf auch verfilmt.

Jysch geht in seinem Comic weit über Kutschers Romanverlage hinaus. Er kommt zwar (im Gegensatz zu Verfilmung) ohne zusätzliche Handlungsstränge aus, aber er füllt Berlin das der 20er wesentlich gekonnter mit Leben. Realistische Stadtansichten, Interieurs, ganze Berliner Gebäudekomplexe der Vorkriegszeit, deren Überreste heute nur noch zu erahnen sind. Der Comic in  in schwarz-weiß gehalten, wie ein gelungener Film aus dieser Zeit spielt er meisterhaft mit Licht und Schatten, Mienen und Konturen.

Wie schon zu bemerken ist, bin wirklich kein Comic-Kenner, sondenr habe dieses Buch allem zur Recherche für mein neues Buch Berlin für Buchverliebte gekauft - aber ich bin wirklich begeistert!

Sonntag, 20. April 2025

Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis

„Im Müll wohnt die Wahrheit. Und die Wahrheit muss irgendwann heraus.“

Der Schriftsteller, Arno Geiger, Jahrgang 1968, hat 2023 diese seine Autobiografie veröffentlicht. Der Erzählung über sein Leben gibt er einen Rahmen. Er wird gebildet von Geigers Doppelleben, seiner Leidenschaft, seinem glücklichen Geheimnis, das er jetzt verrät: Ein Leben lang, auch noch als schon als erfolgreicher Autor, hat er Touren durch Wien unternommen und dabei systematisch ein Papiercontainer nach Briefen, Tagebüchern und Büchern durchstöbert - um die „schönsten Stücke“ mit nach Hause zu nehmen.

Nun ist dieses Geheimnis nun nicht sooo brisant - aber Geiger schafft es, anhand der Suche im Müll, eine lesenswerte Philosophie des Suchens und Findes, Wegwerfens und Behaltens, Erinnerns und Voranschreitens, Schreibens und Sprechens vorzulegen. Das hat mich wirklich beeindruckt. Vergleichbares im Bereich der Schriftsteller-Autobiografie habe ich zum letzten Mal mit Klaus Manns Der Wendepunkt gelesen.