Norbert Paulini aus Dresden ist der letzte Leser von Büchern aus Papier.
Als Antiquar versammelt er zu DDR-Zeiten wertvolle Erstausgaben, Vergriffenes, schwer erhältliche West-Literatur, Kostbares, Lesenswertes - und den entsprechenden Kunden- und Freundeskreis - um sich.
Dann kommt die Wende, für die sich der unpolitische Bildungsbürger Paulini erst nicht interessiert. Aber sie krempelt sein Leben um. Bücher sind plötzlich nichts mehr wert, sein Haus fällt an Erben aus dem Westen, seine Ehefrau wird als jahrelanger Stasi-Spitzel enttarnt. Was ihm noch bleibt, die Bücher, nimmt ihm das schlimme Elbe-Hochwasser 2002. Er zieht in die Sächsische Schweiz und wird dort - das allerdings ist im Buch nur mit wenigen Sätzen angedeutet - zum offenbar gewaltbereiten Rechtsextremen. Paulini verunglückt am Ende tödlich, als er und seine Freundin Lisa von einer Felskuppe stürzen.
Was macht diesen Roman spannend? Die schillernde Welt der alten Bücher? Die Wandlung der Hauptfigur vom Kulturmenschen zum Reaktionär? Letztere wird jetzt von den meisten Rezensenten in den Vordergrund gestellt, aber im Roman kaum thematisiert. Mich hat etwas anderes fasziniert. „Die rechtschaffenen Mörder“ ist nämlich ein großartiges literarisches Versteckspiel - es folgt damit Klassikern wie Leo Perutz‘ Der Meister des Jüngsten Tages oder Anton Tschechows Drama auf der Jagd.
Im ersten von drei Teilen ist Paulinis Lebensgeschichte erzählt. Der zweite Teil unterscheidet sich davon. Er ist eine Art Tagebuch, in dem der Autor des ersten Teils, ein gewisser „Schultze“ (!), seine Motivation erklärt, Paulini ein literarisches Denkmal zu setzen. Paulini sei der Held seiner Dresdner Jugend gewesen. Er verstehe Paulini als „den großen Leser (…), der über die Zeiten und Systeme hinweg aufgrund seiner Veranlagung und Leidenschaft zum Bollwerk wird gegen das, was uns Büchermenschen bedroht“, der sich „gegen das stemmt, was uns Jahr für Jahr aushöhlt und wegschwemmt und eines Tages nichts mehr von dem übrig gelassen haben wird, wofür wir zu leben geglaubt haben“.
Kann ich als Rezensent nun furchtbar überladene Schachtelsätze kritisieren? Oder die altbackene, platte Sprache in Sätzen wie diesem: „Selbst meine Eltern, die in Sachen Frauen bei mir an Kummer gewöhnt waren, gaben schnell ihre Reserviertheit Lisa gegenüber auf.“ Nein, kann ich nicht. Denn es ist nicht der Dresdner Autor Ingo Schulze, der hier spricht, sondern der fiktive Dresdner Autor „Schultze“ (ja, wie bei Tim und Struppi).
Und dieser Schultze beginnt, mich Leser einzuwickeln. Eigentlich war Paulini schon immer unsympathisch, geht mir nun auf. Eigentlich war er ja bereits in jungen Jahren ein rechthaberischer, andere belehrender, fast autistischer Kulturbürger - was sich im Alter noch verstärkte. Ein begieriger Leser zwar, aber dennoch ein Mensch ohne Neugier. Das aktuelle Bindeglied zwischen Paulini und dem Autor Schultze ist Lisa: Schultzes Freundin hilft Paulini im Haushalt und im Antiquariat in der Sächsischen Schweiz. Oder ist da doch mehr, das sie mit dem Bücherkauz verbindet?
Der dritte Teil des Buches schließlich stellt nochmals alles auf den Kopf. Schultzes Verlagslektorin macht sich auf den Weg in die Sächsische Schweiz, weil sie Zweifel plagen. Wie sind Paulini und Lisa wirklich gestorben? Und mir als Leser stellt sich die Frage: Bin ich Schultze auf den Leim gegangen? Was von all dem Erzählten kann ich ihm überhaupt glauben?
Ein Buch zum Weiterrätseln und Weiterdenken.
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