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Samstag, 12. September 2020

Stefan Müller: 111 Gründe, Bücher zu lieben.

 

Der Literaturwissenschaftler Stefan Müller hat in dieser „Liebeserklärung an das Lesen“ 111 kleine „Weil...“-Kapitel rund um das Thema Buch versammelt. Darunter sind wunderbar nachdenkliche Essays, wie „Weil ich die Protagonisten manchmal einfach besser verstehe als sonst jemanden“.

Den Großteil nehmen Buchbesprechungen ein, darunter Aktuelles wie Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe und Klassiker wie Franz Kafkas Die Verwandlung oder Lewis Carrolls Alice im Wunderland. Von Musils Mann ohne Eigenschaften bis zu Joanne K. Rowlings Harry-Potter-Romanen. Das sind schöne knappe Inhaltsangaben, meist kompetent eingeordnet. Sprachlich gibt es hier und da etwas zu mäkeln: Von Miguel de Cervantes‘ Romanfigur Don Quijote als „dem Don“ zu sprechen, klingt dämlich. Und wenn sich bei Sherlock Holmes „die Leser lesehungrig auf neue Geschichten freuen“, dann steht da ein Wörtchen zu viel.

Manchmal sind es einfach nur Listen, die nicht weiter kommentiert werden wie beispielsweise: „Weil diese elf Bücher so ziemlich jeden zum Lachen bringen.“ Vieles ist eher überflüssig, weil bekannte Vorzüge des Medium Buchs erörtert werden - allerdings nicht originell und sprachlich außerordentlich  genug, um einen Mehrwert zu bieten.

Sehr gelungen ist der Gang durch 111 Jahre deutscher Literaturgeschichte in den letzten Kapiteln. Das ist übersichtlich und pointiert, teilweise sogar überraschend und neu. Aber warum muss dies wieder in das dämliche Frage-Antwort-Korsett des Buches eingezwängt werden? Das führt zu grotesken Kapitelüberschriften wie „Weil die Mitte des 20. Jahrhunderts unter dem Zeichen der Aufarbeitung und Bewältigung der jüngsten deutschen Vergangenheit stand, Bücher von Weltruhm hervorbrachte und zuletzt auch wieder den ganz normalen Alltagswahnsinn in den Fokus rückte“.  Ist das ein Grund, Bücher zu lieben?

Eine schöne Fundgrube aber nicht das, was es vorgibt. Keine Wunderlampe, um die Liebe zu Büchern zu wecken oder wieder wachzurufen. Dafür über weite Strecken gute, informative Unterhaltung.

Dienstag, 8. September 2020

Christian Grawe: Theodor Fontane. 100 Seiten

Noch ein Fontane-Buch, das ich zur Vorbereitung auf meinen Literaturführer Berlin erlesen! durchgeackert habe. Aber dieses ist wirklich empfehlenswert, bietet es doch einen wunderbar leichten, lesbaren und dennoch tiefergehenden Einblick in Fontanes Leben und Werk. Der Autor, emeritierter Professor für deutsche Literatur an der Universität Melbourne, transportiert seine große Sympathie für den märkischen Schriftsteller, ist aber keineswegs unkritisch.

Ein weites Feld. Das ist nicht nur der Standardspruch von Effi Briests Vater, das ist auch vieles im Leben und Werk Fontanes. Journalist und Romancier, Kriegsberichterstatter und Theaterkritiker, Revoluzzer und stockkonservativer Verehrer des preußischen Landadels, Englandfreund und Brandenburg-Wanderer. Wo steht Fontane in der Literaturgeschichte? Wie sind Landschaften, Gegenstände Namen, Musik, Dialoge in seinem Werk zu deuten? Welche Rolle spielen Sexualität und Religion? Die kurzen Kapitel geben perfekt Aufschluss und machen große Lust, sich in Fontanes Schmöker zu vertiefen. 

Dafür gibt Grawe dem Leser sogar einen Fahrplan mit: er bewertet die Romane Fontanes in einem subjektiven Ranking - von Effi Briest, 5 Sterne, bis Ellernklipp, 1 Stern - der Lesenswürdigkeit.

Donnerstag, 3. September 2020

George Saunders: Fuchs 8

Fuchs 8 setzt sich an die Schreibmaschine und schreibt den Menschen einen Brief. Er erzählt darin von seinem Leben. Wie er die Menschen liebenlernte, als er der durch ein Fenster einer Mutter lauschte, die die ihren Kindern Geschichten vorlas. 

So lernte er die Sprache, der Menschen, aber natürlich nicht ihre Rechtschreibung. Er findet die Menschen "kul". Und Fuchs 8 neigt zu Tagträumen. Er gilt innerhalb seiner Gruppe von Füchsen als Außenseiter. 

So träumt er davon, dass die Menschen mit ihm am Tisch sitzen und sagen: "Fükse sind unsere Liblinstire" und sich fragen: "Warum nur, warum waren wir so dumm und haben den Hunt zu unserm meisten Haustir gemacht? - Und ich so: Das weis ich echt nicht."

Mit seinem Verständnis der Menschen und ihrer Sprache kann er seinen Artgenossen in der Gruppe helfen, glaubt er. Er führt seine Fähigkeiten dem Oberfuchs vor, der ist erstaunt.

"Und ich drauf: Korrekk, Alter, was das grat war war Mänschisch.

Und er so: Das ist zimlich gut, Fuks 8."

Fuchs 8 möchte den Menschen näherkommen. Doch die bauen eine Einkaufsmall mitten ins Fuchsgebiet, Sie machen die Natur platt und zerstören die Lebensgrundlage der Füchse. Viele von ihnen verhungern. Zu Fuchs 7 sind die Menschen sogar ganz besonders grausam. 

Fuchs 8, der Geschichten mit Happy End eigentlich liebt, verliert viel von seiner Hoffnung verloren. Als er den Brief an die Menschen schreibt, ist er nicht mehr unschuldig wie zu Beginn. Dieser Fuchs ist sehr weise. Er bringt die einfachen Wahrheiten auf den Punkt. Weiß viel von Zusammenleben und Rücksicht.

Vor allem die Sprache ist unfassbar anrührend: Frank Heibert ist hier eine so geniale Übersetzung  gelungen, dass Fuchs 8 auch in deutscher Sprache ein ganz großes Kunstwerk ist. 




Mittwoch, 2. September 2020

Arturo Pérez Reverte: El Club Dumas


Roman Polanskis Verfilmung
Die neun Pforten habe ich bereits mehrmals gesehen, das Original von 1993 erst jetzt gelesen. Natürlich auch unter dem Gesichtspunkt, ob die Verfilmung gelungen ist, der Buchvorlage gerecht wird oder sie sogar - auch das gibt es - veredelt.

Der Bücherjäger ("cazador de libros") Lucas Corso (im Film: Dean Corso) erhält die Aufgabe, die Echtheit des Manuskriptes von Le Vin d'Anjou, des Originals eines Kapitels von Alexandre Dumas' Die drei Musketiere, zu überprüfen. Bei dieser Mission begegnet ihm das uralte Werk über die Neun Pforten, in dem Teile angeblich von Satan selbst stammen und dessen Urheber wegen Teufelsanbetung auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Eine Nebenhandlung, die im Roman gegenüber dem eigentlichen Handlungsstrang rund um Dumas immer wieder in den Hintergrund tritt.

Dieser Dumas-Plot wiederum fehlt im Film völlig, eine mutige und richtige Entscheidung der Drehbuchautoren. Denn diese Handlung um einen illustren Club der Fans von Abenteuergeschichten ist einfach verwirrend, konstruiert, wirkt nicht stringent. Auch, wenn er dem ganzen vielleicht ein Augenzwinkern, eine humorvolle Note und Leichtigkeit hinzufügen sollte.

Im Film gibt es dafür einen völlig bekloppten Schluss um eine Sekte durchgeknallter Teufelsanbeter. An dieser Stelle bleibt das Buch rätselhafter, undurchsichtiger, philosophischer. Wen im Film stört, dass Corso unentwegt Zigaretten raucht, während er wertvollste Bücher durchblättert - das ist im Roman auch so.

Verständlicherweise wird hier ausgiebiger und genüsslicher über das Medium Buch diskutiert und sinniert, das Schreiben und das Erzählen, aber auch über alles, was sich zu Druck, Einband, Illustration, Erhaltungszustand von Büchern sagen lässt, über Marktpreise und Provenienz, Auktionen, Sammlerleidenschaft und die Marotten von Bibliophilen. In vieler Hinsicht wird Umberto Ecos Der Name der Rose als Vorbild für diesen Abenteuerroman überdeutlich. Der "profesor de semiótica en Bolonia" sitzt sogar einmal mit am Tisch, als die Dumas-Jünger sich versammeln.

Besonders schön ist der Bibliomane Victor Fargas gezeichnet. In seiner riesigen Villa hat der jämmerlich verarmende Büchersammler wertvollste Inkunabeln und Handschriften auf dem Boden aufgereiht. In regelmäßigen Abständen muss er unter größten Schmerzen einen seiner Schätze verkaufen, um überhaupt überleben zu können. Es ist, als wähle er eines seiner Kinder aus, das dann zur Schlachtbank geführt wird.