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Freitag, 11. Januar 2019

Anthony Horowitz: Die Morde von Pye Hall

Ein unschlagbarer Krimi im Krimi ist Anthony Horowitz mit Die Morde von Pye Hall (Magpie Murders) gelungen. Mal kurz hineinlesen?

"War es überhaupt denkbar, dass einer der Dorfbewohner, der in einem hübschen, alten Haus aus dem frühen 19. Jahrhundert wohnte, sonntags zur Kirche ging und vielleicht Kricket spielte, am Wochenende seinen Rasen mähte und beim alljährlichen Basar seine selbstgemachte Marmelade verkaufte, ein mordender Irrer war?"

Agatha Christie, ick hör dir trapsen. Und auch die Handlung könnte durchaus von ihr (oder Dorothy L. Sayers) stammen:

Atticus Pünd, deutschstämmiger Privatdetektiv und Holocaust-Überlebender mit griechischen Wurzeln, ist unheilbar krank und hat auf sympathische Art seinen Frieden damit gemacht, nur noch wenige Monate zu leben. Es bleibt ihm also nicht mehr viel Zeit, die mysteriöse Enthauptung eines Lords mit einem antiken Schwert auf seinem Anwesen aufzuklären. Pünd befragt die Bewohner des südenglischen Dorfs und enthüllt zwischen idyllischen Backsteinhäusern, gepflegten Rosenhecken, Antiquitätenladen und Pub so manches wohlgehütete, dunkle Familiengeheimnis. Doch dann - kurz bevor der Ermittler alle Verdächtigen zusammentrommeln und ihnen des Rätsels Lösung auf den Kopf zusagen kann - bricht das Manuskript ab. Das Schlusskapitel fehlt.

Verlagslektorin Susan Ryeland - sie ist die Heldin der Rahmenhandlung - ärgert sich. Auch, wenn sie dem Autor Alan Conway nicht besonders leiden kann, ist sie doch ein ausgewiesener Fan seiner Atticus-Pünd-Krimis, deren inzwischen achten sie hier zum Lektorat erhalten hat. Sie macht sich auf die Suche nach den verlorenen Manuskriptseiten, als ihr der plötzliche Tod des Autors Conway mitgeteilt wird. War es wirklich Selbstmord? Susan zweifelt und stellt Nachforschungen an.

"Conway hatte etwas vom ,goldenen Zeitalter' des englischen Krimimalromans eingefangen (…) Es war ein klassischer Whodunnit und spielte auf dem Land. Es ging um einen komplizierten Mord, es gab eine Menge exzentrischer Charaktere und einen Detektiv, der als Außenseiter dazukam." So beschreibt die Lektorin den Stil des Krimiautors Conway.

Auch Anthony Horowitz beherrscht diesen Stil dieser alten englischen Kriminalromane meisterhaft. Und ebenso wie bei seinen Sherlock-Holmes-Romanen übertrifft er das Original im Grunde. In der zweiten Ebene, also der Rahmenhandlung um Susan Ryeland, thematisiert und hinterfragt der Autor das Genre Kriminalroman, er spielt mit ihnen, durchleuchtet ihre Gesetzmäßigkeiten, ihre Sprache und die Regeln des Literaturbetriebs.

Faszinierend ist das Gespräch Susan Ryelands mit einem Kriminalbeamten der Polizei, der der ermittelnden Lektorin manchen Zahn zieht: Die wenigen Morde, die in der Realität geschehen, sind alles andere als romantisch, meistens sind es brutale Taten aus Geldgier oder Zorn, sie werden nicht durch raffinierte Befragungen, das Knacken von Rätseln und das Entschlüsseln geheimer Botschaften aufgeklärt, sondern durch Videoüberwachungen und DNA-Tests. Und das höchst erfolgreich.

Aber keine Angst: Hier geht es nicht profan zu. Hier wird eine Geschichte (bzw. zwei) erzählt, die altmodische Krimifans wie mich begeistert. Und zwar zu Ende. Wenn das Leben schon so viele Abgründe, Skurrilitäten, Zufälle und Geheimnisse bereit hat - wieso sollte sie dann ausgerechnet der Tod nicht bieten? Also: Lesen!

PS: Zu kritteln habe ich dann doch etwas - und zwar ausnahmsweise an der typographischen Gestaltung. Der Atticus-Pünd-Roman, der ja einen großen Teil des Buches ausmacht, ist in einer serifenlosen, einem Schreibmaschinen-Typoskript nachempfundenen Schrift gehalten. Das ermüdet beim Lesen leider schnell.

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