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Samstag, 6. April 2019

Emmanuel Pierrat: Les nouveaux cabinets de curiosités

Wunderkammern und Kuriositätenkabinette waren der letzte Schrei in der Renaissancezeit. Gelehrte und Adelige präsentierten ihren Gästen mit Vorliebe Ausgefallenes, Exotisches und Bizarres - von der kostbaren chinesischen Vase bis zum Schrumpfkopf -, um sie staunen und erschauern zu lassen.

Auch heute noch gibt es Kuriositätenkabinette in Privaträumen. Der Autor dieses Bildbandes hat 20 von ihnen ausfindig gemacht. Zwar hat er den Besitzern Anonymität zugesagt, aber die fotografierten Räume verraten doch so viel über die Besitzer. Pierrat streut dazu kurze essayistische Betrachtungen ein.

Einer der Sammler (es sind Männer und Frauen darunter) hat seine Wände, Tische, Schränke und Regale mit Erotica dekoriert, einer mit Devotionalien, die an Verbrechen erinnern, einer mit Diktatorenporträts und -büsten, ein anderer mit vergoldeten Kinderschuhen, dazu immer wieder Gemälde, Fotos, Glasfläschchen in allen Farben, Notizzettel, ausgestopfte Tiere, Schiffsinstrumente, Versteinerungen und Muscheln, eine Opiumliege, sehr oft Masken, Fetische, Statuetten aus Afrika, Ostasien, Ozeanien oder Südamerika. Meistens auch Bücher, in Leder gebunden oder abgelesen, gereiht oder gestapelt, thematisch passend oder kontrastierend.

Viele Fragen kommen auf. Warum sammeln wir? Ist das Sammeln an sich etwas Befriedigendes, oder sammeln wir nicht eigentlich doch nur, um einen neuen, kreativen Kontext zu schaffen, etwas Neues zu kreieren, auszustellen und präsentieren, etwas dokumentieren und verewigen?

„Le cabinet de curiosités peut servir à fantasmer... un monde disparu dans lequel le collectioneur a cru vivre, auquel il aurait appartenu.“

Meistens sind die Kuriositäten ästhetisch arrangiert, manche sind wahre Kunstinstallation, andere bestricken mit überraschenden Kombinationen und Kontexten. Oft ist alles vollgestopft - es sind wahre Wimmelbilder, auf denen das Auge immer wieder Neues entdeckt.

„L‘inventivité est sans cesse mise à l‘épreuve, dès qu‘un nouvel arrivant doit trouver sa place parmi des centaines d‘objets, des milliers de livres, de multiples images sous cadre etc.“

Auffällig, wie schmal der Grat zwischen Kuriositätenkabinett und Messie-Wohnung ist. Wo er verläuft, liegt wahrscheinlich auch im Auge des Betrachters.

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