So. Da habe ich nun also einen Liebesroman aus dem Goldmann-Verlag gelesen. Warum? Weil es in diesem Buch um die abenteuerliche Jagd nach einem verschlüsselten Manuskript in einer mittelalterlichen Klosterbibliothek, um einen Kreis von Bibliophilen und um die Artussage geht. Das steht nicht nur im Klappentext, sondern ist wirklich der Fall.
Im fiktiven englischen Ort Barchester lebt der etwa 40-jährige Universitätsdozent, Eigenbrötler, Mittelalterbegeisterte und Büchernarr Arthur Prescott. Arthur arbeitet an einem Kirchenführer zur Kathedrale, die auf dem Grund eines ehemaligen Klosters, gegründet von der heiligen Ewolda, steht. Da taucht die 14 Jahre jüngere US-amerikanische Studentin Bethany auf, die die alten Handschriften der wenig besuchten Kathedralbibliothek im Auftrag eines evangelikalen Milliardärs digitalisieren soll. Arthur und Bethany stellen fest, dass eines der Manuskripte fehlt - womöglich enthält es geheime Informationen zur Klostergründerin Ewolda und vielleicht auch zum Heiligen Gral. Sie machen sich auf die Suche und kommen sich dabei näher.
Es ist schön zu lesen, wie der ehemalige Antiquar und eingefleischte Büchersammler Lovett sein bibliophiles Wissen einwebt. So diskutieren Arthur und seine gleichgesinnten Freunde, die sich zu den Bücherfreunden Barchester zusammengeschlossen haben, ob Sammler die unbeschnittenen Seiten eines uralten Buches mit dem Messer öffnen sollten - schließlich sind Bücher da, um gelesen zu werden - oder sie jungfräulich und verschlossen belassen, um den Sammlerwert zu erhalten: Diese Frage stellt sich tatsächlich jeder Büchersammler irgendwann.
Leser erfahren zudem eine Menge über die Artussage und ihre literarischen Bearbeitungen, allen voran von Thomas Malory und Alfred Tennyson, über verschiedene Theorien zum Heiligen Gral, über Buchherstellung in mittelalterlichen Skriptorien, Einbände, Geheimschriften, den Geruch von Büchern, den Charme von Penguin-Taschenbüchern (…"die Seiten blätterten sich geschmeidig wie Sahne, die aus dem Krug rinnt, und während die meisten alten Taschenbücher irgendwann auseinanderfielen, reiften Penguins."), Kettenbücher, Bibliotheksregale und vieles, vieles mehr. Ein Genuss.
Aber dann finden sich doch immer wieder solche Klöpse:
"Ihm war gar nicht aufgefallen, wie düster der Raum gewesen war, bis Miss Davis ihn mit ihrer Anwesenheit zum Leuchten brachte."
oder auch:
"Die Morgensonne funkelte auf dem Wiesentau, und die Vögel zwitscherten so lieblich wie nie, als Arthur am Zaun lehnte..."
Inwieweit derlei Stilblüten mit der Übersetzung oder dem Lektorat zu tun haben, vermag ich nicht zu beurteilen.
Irgendwie uninspiriert erzählt wirkt auch die Liebesgeschichte, die sich zwischen Arthur und Bethany entspinnt. Die wenigen eingestreuten romantischen Szenen sind relativ nichtssagend und gerade gut, guten Gewissens überblättert zu werden. Fans des Liebesroman-Genres, die der Goldmann-Verlag mit rosa Schrift und Blümchen auf dem Cover zu ködern sucht, dürften enttäuscht sein.
Leider ist es ja so, dass Romane über Bücher und Bibliophile - von wenigen ruhmreichen Ausnahmen abgesehen - meist wenig originell und kreativ sind. Da ist das immerhin ein kleiner Ausreißer nach oben.
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Sonntag, 28. April 2019
Mittwoch, 10. April 2019
Ladislav Slivka/Herma Schaper: Der grüne Drache
Dieses wunderliche Märchenbuch, ein Flohmarktfund, erzählt von einem rätselhaften grünen Drachen. Ich konnte nicht herausfinden, ob es in zumindest in Teilen auf ein chinesisches Volksmärchen zurückgeht, tippe aber, dass es komplett der Fantasie des Autors Ladislav Slivka entsprungen ist.
Der Kaiser von China ist neidisch auf den Kaiser von Japan, weil dieser einen siebenköpfigen Drachen besitzt. Lange sucht er nach einem eigenen Drachen, bis ihm ein kleiner Junge sogar ein zwölfköpfiges Exemplar bringt, das schimmert wie der Mond, der sich in einem dunkelgrünen See spiegelt. Unter der Bedingung, dass das Tier weiter mit Kindern spielen darf, überlässt er ihm dem Kaiser. Die missgünstigen Höflinge vertreiben jedoch die Kinder und spannen den Drachen vor die Kutsche. Der lässt sich das nicht gefallen, verspeist Kaiser samt Hofstaat, fällt jedoch der Schwermut anheim. Ein Zauberer heilt ihn erst und verwandelt ihn dann in Porzellan. So gelangt in die Hände des Erzählers, hilft diesem aus Geldnot und sorgt dafür, dass dieser schließlich in einem fliegendes Paket mit einer schönen Prinzessin in eine schöne Zukunft reist.
Das 1959 in München-Aubing verlegte Bilderbuch ist ungemein poetisch, versponnen humorvoll und kindgerecht erzählt. Es regt die Fantasie an. Dazu tragen auch die filigranen und ausdrucksstarken kolorierten Tuschezeichnungen von Illustratorin Herma Schaper bei. Erhältlich ist es vereinzelt über den antiquarischen Buchhandel.
Der Kaiser von China ist neidisch auf den Kaiser von Japan, weil dieser einen siebenköpfigen Drachen besitzt. Lange sucht er nach einem eigenen Drachen, bis ihm ein kleiner Junge sogar ein zwölfköpfiges Exemplar bringt, das schimmert wie der Mond, der sich in einem dunkelgrünen See spiegelt. Unter der Bedingung, dass das Tier weiter mit Kindern spielen darf, überlässt er ihm dem Kaiser. Die missgünstigen Höflinge vertreiben jedoch die Kinder und spannen den Drachen vor die Kutsche. Der lässt sich das nicht gefallen, verspeist Kaiser samt Hofstaat, fällt jedoch der Schwermut anheim. Ein Zauberer heilt ihn erst und verwandelt ihn dann in Porzellan. So gelangt in die Hände des Erzählers, hilft diesem aus Geldnot und sorgt dafür, dass dieser schließlich in einem fliegendes Paket mit einer schönen Prinzessin in eine schöne Zukunft reist.
Das 1959 in München-Aubing verlegte Bilderbuch ist ungemein poetisch, versponnen humorvoll und kindgerecht erzählt. Es regt die Fantasie an. Dazu tragen auch die filigranen und ausdrucksstarken kolorierten Tuschezeichnungen von Illustratorin Herma Schaper bei. Erhältlich ist es vereinzelt über den antiquarischen Buchhandel.
Dienstag, 9. April 2019
John Boyne: Der Junge im gestreiften Pyjama
Der Ire John Boyne, Jahrgang 1971, hat 2006 diesen Roman über den Holocaust veröffentlicht. Er handelt vom neunjährigen Bruno, der mit seiner Familie nach Auschwitz zieht, wo sein Vater Lagerkommandant ist. Trotz Verbots nähert er sich dem Konzentrationslager und schließt Freundschaft mit Schmuel, dem gleichaltrigen „Jungen im gestreiften Pyjama“ auf der anderen Seite des Zauns. Die beiden sehen sich sehr ähnlich und könnten fast verwechselt werden, wenn Bruno nicht viel dicker wäre als Schmuel.
Mit Sicherheit ist dieses Buch irgendwo Schullektüre. Und die Lehrer und Lehrpläne, die das verordnen, haben ja auch Recht. Denn natürlich darf die Beschäftigung mit diesem schrecklichen Teil der Geschichte niemals aufhören. Aber muss das mit einem so eindimensionalen Buch geschehen? Ich beneide diese Schüler nicht. Denn Boyne - so nobel sein Ansinnen sein mag und so wichtig es ist, das Gedenken an Auschwitz immer wieder wach zu rufen - macht es sich zu leicht.
Er hat seinen Helden nämlich bewusst doof gestaltet. Ein tumber Tor, der nicht begreift, was da Ungeheuerliches um ihn herum passiert. Das funktioniert aber so nicht mit einem Neunjährigen, der immer nur von "Aus-wisch" und dem "Furor" redet, von den "schaumigen Getränken", die Erwachsene trinken und so weiter. Und der dann im nächsten Atemzug sagt: „Ist alles relativ, oder? Entfernung, meine ich.“
Hier ist ein Erwachsener, der sich überhaupt nicht in Kinder hineindenken kann. Das nimmt diesem Buch jede Glaubwürdigkeit, es geht einfach nicht auf und deshalb läuft diese gute Handlungsidee um ein unfassbar unmenschliches Geschehen ins Leere. Wahnsinnig schade.
Mit Sicherheit ist dieses Buch irgendwo Schullektüre. Und die Lehrer und Lehrpläne, die das verordnen, haben ja auch Recht. Denn natürlich darf die Beschäftigung mit diesem schrecklichen Teil der Geschichte niemals aufhören. Aber muss das mit einem so eindimensionalen Buch geschehen? Ich beneide diese Schüler nicht. Denn Boyne - so nobel sein Ansinnen sein mag und so wichtig es ist, das Gedenken an Auschwitz immer wieder wach zu rufen - macht es sich zu leicht.
Er hat seinen Helden nämlich bewusst doof gestaltet. Ein tumber Tor, der nicht begreift, was da Ungeheuerliches um ihn herum passiert. Das funktioniert aber so nicht mit einem Neunjährigen, der immer nur von "Aus-wisch" und dem "Furor" redet, von den "schaumigen Getränken", die Erwachsene trinken und so weiter. Und der dann im nächsten Atemzug sagt: „Ist alles relativ, oder? Entfernung, meine ich.“
Hier ist ein Erwachsener, der sich überhaupt nicht in Kinder hineindenken kann. Das nimmt diesem Buch jede Glaubwürdigkeit, es geht einfach nicht auf und deshalb läuft diese gute Handlungsidee um ein unfassbar unmenschliches Geschehen ins Leere. Wahnsinnig schade.
Samstag, 6. April 2019
Emmanuel Pierrat: Les nouveaux cabinets de curiosités
Wunderkammern und Kuriositätenkabinette waren der letzte Schrei in der Renaissancezeit. Gelehrte und Adelige präsentierten ihren Gästen mit Vorliebe Ausgefallenes, Exotisches und Bizarres - von der kostbaren chinesischen Vase bis zum Schrumpfkopf -, um sie staunen und erschauern zu lassen.
Auch heute noch gibt es Kuriositätenkabinette in Privaträumen. Der Autor dieses Bildbandes hat 20 von ihnen ausfindig gemacht. Zwar hat er den Besitzern Anonymität zugesagt, aber die fotografierten Räume verraten doch so viel über die Besitzer. Pierrat streut dazu kurze essayistische Betrachtungen ein.
Einer der Sammler (es sind Männer und Frauen darunter) hat seine Wände, Tische, Schränke und Regale mit Erotica dekoriert, einer mit Devotionalien, die an Verbrechen erinnern, einer mit Diktatorenporträts und -büsten, ein anderer mit vergoldeten Kinderschuhen, dazu immer wieder Gemälde, Fotos, Glasfläschchen in allen Farben, Notizzettel, ausgestopfte Tiere, Schiffsinstrumente, Versteinerungen und Muscheln, eine Opiumliege, sehr oft Masken, Fetische, Statuetten aus Afrika, Ostasien, Ozeanien oder Südamerika. Meistens auch Bücher, in Leder gebunden oder abgelesen, gereiht oder gestapelt, thematisch passend oder kontrastierend.
Viele Fragen kommen auf. Warum sammeln wir? Ist das Sammeln an sich etwas Befriedigendes, oder sammeln wir nicht eigentlich doch nur, um einen neuen, kreativen Kontext zu schaffen, etwas Neues zu kreieren, auszustellen und präsentieren, etwas dokumentieren und verewigen?
„Le cabinet de curiosités peut servir à fantasmer... un monde disparu dans lequel le collectioneur a cru vivre, auquel il aurait appartenu.“
Meistens sind die Kuriositäten ästhetisch arrangiert, manche sind wahre Kunstinstallation, andere bestricken mit überraschenden Kombinationen und Kontexten. Oft ist alles vollgestopft - es sind wahre Wimmelbilder, auf denen das Auge immer wieder Neues entdeckt.
„L‘inventivité est sans cesse mise à l‘épreuve, dès qu‘un nouvel arrivant doit trouver sa place parmi des centaines d‘objets, des milliers de livres, de multiples images sous cadre etc.“
Auffällig, wie schmal der Grat zwischen Kuriositätenkabinett und Messie-Wohnung ist. Wo er verläuft, liegt wahrscheinlich auch im Auge des Betrachters.
Auch heute noch gibt es Kuriositätenkabinette in Privaträumen. Der Autor dieses Bildbandes hat 20 von ihnen ausfindig gemacht. Zwar hat er den Besitzern Anonymität zugesagt, aber die fotografierten Räume verraten doch so viel über die Besitzer. Pierrat streut dazu kurze essayistische Betrachtungen ein.
Einer der Sammler (es sind Männer und Frauen darunter) hat seine Wände, Tische, Schränke und Regale mit Erotica dekoriert, einer mit Devotionalien, die an Verbrechen erinnern, einer mit Diktatorenporträts und -büsten, ein anderer mit vergoldeten Kinderschuhen, dazu immer wieder Gemälde, Fotos, Glasfläschchen in allen Farben, Notizzettel, ausgestopfte Tiere, Schiffsinstrumente, Versteinerungen und Muscheln, eine Opiumliege, sehr oft Masken, Fetische, Statuetten aus Afrika, Ostasien, Ozeanien oder Südamerika. Meistens auch Bücher, in Leder gebunden oder abgelesen, gereiht oder gestapelt, thematisch passend oder kontrastierend.
Viele Fragen kommen auf. Warum sammeln wir? Ist das Sammeln an sich etwas Befriedigendes, oder sammeln wir nicht eigentlich doch nur, um einen neuen, kreativen Kontext zu schaffen, etwas Neues zu kreieren, auszustellen und präsentieren, etwas dokumentieren und verewigen?
„Le cabinet de curiosités peut servir à fantasmer... un monde disparu dans lequel le collectioneur a cru vivre, auquel il aurait appartenu.“
Meistens sind die Kuriositäten ästhetisch arrangiert, manche sind wahre Kunstinstallation, andere bestricken mit überraschenden Kombinationen und Kontexten. Oft ist alles vollgestopft - es sind wahre Wimmelbilder, auf denen das Auge immer wieder Neues entdeckt.
„L‘inventivité est sans cesse mise à l‘épreuve, dès qu‘un nouvel arrivant doit trouver sa place parmi des centaines d‘objets, des milliers de livres, de multiples images sous cadre etc.“
Auffällig, wie schmal der Grat zwischen Kuriositätenkabinett und Messie-Wohnung ist. Wo er verläuft, liegt wahrscheinlich auch im Auge des Betrachters.
Heidi Howcroft: Gartenreiseführer Südwestengland
Auf zu einer Reise in eine andere, gemächlichere Welt, in der es wimmelt von Rhododendron, Magnolien und Kamelien, in Gartenräume, Gartenschluchten, verwunschen zugewucherte Anlagen aus dem 17. Jahrhundert, altehrwürdige Landgüter und neogotische Herrenhäuser, zu Staudenrabatten und Bachläufen, versteckten Skulpturen und Tümpeln, Baumgängen, Pflanzinseln, Natursteinmauern, Geheimverstecken und botanischen Staunerlebnissen. Mit dem neu aufgelegten Gartenreiseführer (erstmals 2011 erschienen) hat die deutschsprachige Engländerin Heidi Howcroft sowohl einen praktischen Reisebegleiter durch Dorset, Somerset, Devon und Cornwall als auch ein Lesejuwel für die Armsessel-Traumreise zu Hause geschaffen.
Letzteres habe ich unternommen. Kompetent, detailgenau und sehr umfassend liest sich das wunderbar von der Autorin bebilderte Buch. Das Register sortiert die 59 besprochenen, öffentlich zugänglichen Gartenanlagen auch thematisch, etwa nach "Gärten mit Schneeglöckchen", "English Country Gardens", "Subtropische Gärten" oder "Gärten mit bedeutenden Kunstwerken". Karten, Infos zu Preisen, Anfahrten und Öffnungszeiten, Routenvorschläge innerhalb der Gärten, Tipps zur Leuchttürmen, malerischen Dörfern und urigen Pubs in der Umgebung - alles da.
Für die Autorin, so schreibt sie im Vorwort, ist der Gartenbesuch "ein unterhaltsamer Ausflug mit Teetrinken, Kuchenkosten, Pflanzenerwerben und Ideensammeln". Für diese liebenswerte Art des Reises oder Fantasiereisens bieten die beschriebenen, liebevoll gestalteten und oft Jahrhunderte alten Gärten die ideale Kulisse. Zum Beispiel der Minack Theatre Garden rund um ein Amphitheater an den Küstenklippen Cornwalls, Pencarrow mit seinem Irrgarten aus Lorbeerhecken oder der urwaldähnliche Lost Garden of Heligan...
Ach ja: Beim Garten von Barrington Court in Somerset ist mir sogleich diese Bemerkung unter "Besonderheit" aufgefallen: "Antiquariat in der Scheune, ein Schlaraffenland für Leseratten, gut sortierte Bücher zu Pauschalpreisen, an der Hauptkasse zu zahlen". Was will man mehr?
Heidi Howcroft: Gartenreiseführer Südwestengland. DVA. 176 Seiten. 19,95 Euro.
Letzteres habe ich unternommen. Kompetent, detailgenau und sehr umfassend liest sich das wunderbar von der Autorin bebilderte Buch. Das Register sortiert die 59 besprochenen, öffentlich zugänglichen Gartenanlagen auch thematisch, etwa nach "Gärten mit Schneeglöckchen", "English Country Gardens", "Subtropische Gärten" oder "Gärten mit bedeutenden Kunstwerken". Karten, Infos zu Preisen, Anfahrten und Öffnungszeiten, Routenvorschläge innerhalb der Gärten, Tipps zur Leuchttürmen, malerischen Dörfern und urigen Pubs in der Umgebung - alles da.
Für die Autorin, so schreibt sie im Vorwort, ist der Gartenbesuch "ein unterhaltsamer Ausflug mit Teetrinken, Kuchenkosten, Pflanzenerwerben und Ideensammeln". Für diese liebenswerte Art des Reises oder Fantasiereisens bieten die beschriebenen, liebevoll gestalteten und oft Jahrhunderte alten Gärten die ideale Kulisse. Zum Beispiel der Minack Theatre Garden rund um ein Amphitheater an den Küstenklippen Cornwalls, Pencarrow mit seinem Irrgarten aus Lorbeerhecken oder der urwaldähnliche Lost Garden of Heligan...
Ach ja: Beim Garten von Barrington Court in Somerset ist mir sogleich diese Bemerkung unter "Besonderheit" aufgefallen: "Antiquariat in der Scheune, ein Schlaraffenland für Leseratten, gut sortierte Bücher zu Pauschalpreisen, an der Hauptkasse zu zahlen". Was will man mehr?
Heidi Howcroft: Gartenreiseführer Südwestengland. DVA. 176 Seiten. 19,95 Euro.
Montag, 1. April 2019
Sebastian Beck/Hans Kratzer: Zeitlang
Bayern in Bildern: Kein Laptop, keine Lederhose, keine Lüftlmalerei. Vom Vorzeige-Autobauer BMW nur die Baustelle für das Logistikzentrum in Wallersdorf: Baumaschinen haben im Dreck vor hohen Betonwänden Furchen hinterlassen. In einem Festzelt posieren nicht strahlende Dirndlträgerinnen, sondern vor halbvollen Tischen ein trotziger Bierzeltboxer mit Bauchansatz.
Der Bildband Zeitlang - Erkundungen im unbekannten Bayern versammelt Nah- und Fernaufnahmen aus allen Teilen des Freistaats. Sie stammen von Sebastian Beck. Er ist Leiter der Bayernredaktion der
Süddeutschen Zeitung, und einer der besten Kenner der bayerischen Landespolitik. Hier
hat er nicht geschrieben, sondern Beobachtungen per Kamera festgehalten.
Die Bilder lassen nicht kalt. Sie sind einen zweiten,
dritten Blick wert. Gerade, weil wir das, was Beck fotografiert hat, oft übergehen
- als Hintergrundrauschen und Kollateralschaden. Menschenleere
Ortsdurchfahrten, uniforme Vorgärten. Die weiße Dorfkapelle direkt neben der fast identisch
gestalteten Doppelgarage, Carports, Solardächer, die wuchtig ein Dorf
erdrücken. Dreimal hinschauen und Traurigkeit, Aufbegehren oder
Resignation verspüren. Ein bisschen erinnert das an den BR-Journalisten Dieter Wieland und
seine mahnenden Fernsehbeiträge in den Achtzigerjahren mit Titeln wie „Grün
kaputt“.
Zu sehen sind das aufgehängte Schlachtschwein, das mit
Plastikplanen bedeckten Spargelfeld, das Verwundete, Verblichene,
Zurückgelassene, aber auch das Wiedergefundene. Vieles hat buchstäblich
bessere Zeiten gesehen. Wie die von Ruß bedeckten Schafkopf-Luschen in einem Aufenthaltsraum des stillgelegten Stahlwerks Maxhütte, Oberpfalz.
Immer wieder fängt Beck maximale Schönheit ein, die zuerst spröde daher kommt. Ein leeres Holzboot auf dem Stoffenrieder
Dorfweiher, Schnee auf dem Lusengipfel, ein Himmel voller Störche, Cranach-Gemälde
im Kleinstadtmuseum.
Schönheit: Vor allem ist ihm das mit den Menschen gelungen. Zwei
Wirtinnen in der Oberpfalz als Herrinnen über eine vollgestopfte Gaststube. Die niederbayerischen Kauffrau, deren Argusaugen kein Ladendieb entgehen wird. Zwei
Schausteller vor ihrer alternden Schiffschaukel („Traumschaukel“). Hochkonzentrierte
Historiendarsteller der Landshuter Hochzeit. Sechzger-Fans in voller Montur - samt
Plastik-Helm. Die versunkene Beterin in Altötting. Der Bildhauer und Autor
Anton Kirchmair, in dessen unfassbarem Blick so ziemlich alles liegt, was Bayern
poetisch macht.
Jedes Bild erzählt eine Geschichte, erzeugt Kino im Kopf,
lässt weiterdenken. Damit die Bilder wirken, sind nicht viele Worte nötig.
Dementsprechend knapp hat der SZ-Journalist Hans
Kratzer seine eingestreuten Texte gehalten. Es sind Kurzessays, die nicht direkt Bezug auf die Fotos nehmen
sondern Gedanken fortspinnen, die beim Betrachten aufkommen.
Einzelne Anekdoten wie von der Einödbäuerin Katharina
Walker, die noch im 20. Jahrhundert ohne Strom, Heizung und fließend Wasser lebte
und die Alpen nur am Horizont, nie aus der Nähe sehen durfte, lassen den großen
Zeitenumbruch erahnen, der Thema dieses Buches ist. Eine Hommage an das urbayerische
Gefühl der Zeitlang fügt sich nahtlos ein.
Ein scharf- und hintersinniges Buch, ein wuchtiger Bildgenuss
– und eine kraftvolle Liebeserklärung an Bayern.