Seiten

Sonntag, 19. Februar 2017

Neil Gaiman: Der Ozean am Ende der Straße

O Mann, das kostet Nerven! Hier bei den Hempstocks ist er erst mal sicher. Bloß nicht in die Hände dieser abscheulichen Ursula Monkton fallen, dieses sadistischen Kindermädchens, das in Wirklichkeit ein Floh ist, ein Wesen aus einer anderen Dimension, das er als Wurm in seiner Fußsohle hereingetragen hat.

Da hat der scheue, bücherverliebte Siebenjährige wirklich Glück, dass am Ende seiner Straße die drei Hempstocks in einem alten englischen Bauernhaus wohnen. Großmutter, Mutter und die elfjährige Lettie geben ihm Zuflucht vor dem bedrückenden Zuhause und dem verständnislosen Vater, der die Mutter mit dem gruseligen Kindermädchen betrügt.

Die Hempstocks besitzen hinter dem Haus einen Ozean, den Außenstehende als Ententeich betrachten würden. Sie sind gute Geister, Schicksalsgöttinnen, die mit Schere, Nadel und Faden Episoden aus der Zeit herausschneiden können. 

Was hier Realität ist, was Märchen, ist unerheblich, es geht ineinander über, die Hauptfigur kann es nicht steuern. Nur die Hempstocks können es. 

Der Erzähler dieses Romans erinnert sich an diese Abenteuer seiner Kindheit, als er, mittleren Alters, zu einer Beerdigung in seinen Heimatort zurückkehrt - nur um diese Abenteuer beim Verlassen sogleich wieder zu vergessen. Deren actionreiche Handlung an sich ist nicht besonders originell, sie folgt einem ziemlich einfach gestrickten Fantasy-Plot: Um ihren Freund vor den bösen Hungervögeln zu schützen und diese zurück in ihre Welt zu verbannen, opfert sich die mutige Lettie.

Aber das alles ist zauberhaft erzählt und spielt mit uralten Mythen und den großen Nachdenkereien des Leben. Der Möglichkeit, in die Kindheit zurückzukehren, als es noch um das große Ganze, die bedeutenden Fragen ging. Kann noch einmal alles so wie früher sein?

Poetisch ist die Stelle, als der Junge im Ozean untertaucht, vom Wasser umfangen wird, und auf einmal alles, alles, versteht. Er empfindet unendliches Glück und möchte ewig in diesem Zustand bleiben. Das gehe nicht, sagt ihm Lettie. Er würde sich auflösen und überall gleichzeitig existieren: "Von dir wäre nie genug an einem Ort, das von sich selbst als Ich denkt."

Dieses kuriose kleine Buch ist ein Kick für die Fantasie und lässt ein bisschen über die Welt, die Zeit und uns nachdenken.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen