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Mittwoch, 27. April 2016

Wolfgang Büscher: Ein Frühling in Jerusalem

Ist Jerusalem eine schöne Stadt? Schwer zu sagen. Möchte ich nach der Lektüre dieses Buches dorthin reisen? Nein. Lohnt es sich, das Buch zu lesen? Uneingeschränkt: Ja!

Reiseschriftsteller Wolfgang Büscher hat zwei Monate lang in der Altstadt Jerusalems gelebt. Er beschreibt Begegnungen mit Menschen, Orten und alten Texten wie den Aufzeichnungen des Wasif Jawhariyyeh, Poet, Geschichtenerzähler und Oud-Spieler, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Jerusalem lebte.

Einen knappen Quadratkilometer groß ist die Altstadt. Für Büscher ein "Clash der Dünste und Offenbarungen", "eine Stadt, nicht ganz von dieser Welt". Das enge Nebeneinander der politischen Ideen, Kulturen, religiösen Überzeugungen, symbolisch aufgeladenen Heilserwartungen erscheint  brandgefährlich. Nur ein Streichholz reicht, um alles in die Luft gehen zu lassen.

Büscher wohnt zuerst in einem schäbigen Hostel, später in einem griechisch-orthodoxen Konvent im christlichen Viertel. Er schafft es als Nicht-Muslim, den Felsendom zu betreten, lässt sich über Nacht in der Grabeskirche einschließen. Sonst unternimmt er nicht übertrieben viel, und darin liegt der Reiz dieses Buches. Er schreitet immer wieder die gleichen Wege dieses Quadratkilometers ab, wird dadurch in kurzer Zeit so etwas wie ein alter Bekannter, mit den Orten Vertrauter. Er führt interessante Gespräche mit interessanten Menschen, die zu zeitweiligen Wegbegleitern werden und verstehen helfen, was vielleicht nicht zu verstehen ist: Ein orthodoxe Jude, mit dem er zigmal einen reizlosen Park umrundet, ein junger Benediktinermönch, der Sohn des Fotografen Elia, der nur oberflächlich witzige Zahnarzt Nikos, das lebende Geschichtsbuch Dr. John, ein erschreckend gesetzestreuer Rabbi, die fortschrittliche und verzweifelte Jüdin Ada... Nur ein Vertreter der jüdischen Siedler lässt ihn harsch abblitzen.

Es ist ein Spiel mit Worten und ein Spiel mit den Farben, Schatten und Licht, das Büscher spielt. Manchmal, abends, wenn alle Restaurants und Bars geschlossen sind, ist Jerusalem wüstenfarben. Zwei Farben aber beherrschen alles andere. Das Schwarz des Religiösen und  Freudlosen. Das Jerusalem der Gegenwart sei "eine altersstrenge, in tiefes Schwarz gekleidete Person".  Und das schwefelige Weiß, in das er die Stadt schon bei seiner Ankunft von Ferne getaucht sieht, und das Unheil, Gefahr in sich birgt.

Beide Farben sind ohne Hoffnung - und so sind auch viele der Geschichten und Anekdoten. Büscher redet viel mit den alteingesessenen Bewohnern der christlichen Viertel, deren Söhne und Töchter reihenweise nach Europa und die USA geflohen sind, um dort ihr Glück suchen. "There ist no joy in this city" keine Freude, keine Perspektive, sagt unaufhörlich der sympathische Charly Effendi,  Armenier, und ein Angehöriger der verblichenen Elite Jerusalem. Seine Welt blutet aus, verblasst. Diese Geschichten sind von großer Poesie und haben, wie Büscher selbst schreibt, "Bittermandelgeschmack" - für mich seit diesem Buch der Geschmack des schwefelweißen Jerusalem, das ich wahrscheinlich nie bereisen werde.

1 Kommentar:

  1. Sollten sie aber bereisen, die Stadt ist voll von Gebet und Hoffnung und Hingabe und Menschen aus der ganzen Welt die angezogen werden von diesem Brennpunkt der Erde. Kein Wunder: Hier ist der Sohn Gottes erschienen

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