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Mittwoch, 4. März 2015

Michel Houellebecq: Soumission

Diese Politsatire erschien am 7. Januar 2015, dem Tag, an dem islamische Terroristen die Redaktion der Zeitung Charlie Hebdo stürmten und ein Massaker anrichteten. Vieles wurde in "Soumission" hineininterpretiert, ohne es zu lesen, manches wohl auch bewusst falsch verstanden. Man kann dieses Buch mögen oder nicht. Eine Streitschrift gegen den Islam ist es nicht. Dazu ist es einerseits zu vielschichtig, andererseits zu harmlos.

Im Jahr 2022 wird Mohamed Ben Abbes, ein Politiker der Muslimbruderschaft, französischer Präsident - weil sowohl Sozialisten als auch Konservativen seine Wahl als Gegengewicht zum erstarkten Front National unterstützen

Die nun folgenden islamische Umgestaltung Frankreichs, die Houellebecq aus Sicht des Literaturprofessors François schildert, ist nicht bedrohlich oder gewaltsam, sondern erscheint als ein wahres Paradies der Ultrakonservativen. Die  Arbeitslosigkeit sinkt dramatisch, weil die Frauen (freiwillig?) zurückkehren an den Herd. Statt Großkonzernen unterstützt die Regierung nun Bauern und Kleinunternehmer. Soziale Sicherung gibt es nur innerhalb der patriarchalischen Familie. Kurzum - es wird wahr, was die Anhänger des Front National und der traditionalistischen Bewegung der identitaires sich schon lange wünschen.

Die Herrschaft der Muslimbruderschaft ist kein Schreckensszenario, schon gar nicht aus Sicht des Protagonisten François. Dieser ist sozial verarmt, ein Houellebecqscher einsamer Wolf, dessen einzige Erfüllung darin besteht, mit wechselnden zwanzigjährigen Studentinnen zu schlafen. Den opportunistischen Universitätsbetrieb hat er satt. Aufklärung, Humanismus und westlichen Relativismus hält er für gescheitert. François' nahezu einziger Forschungsinhalt ist Joris-Karl Huysmans, Autor der décadence, der um 1900 die Untiefen des Menschlichen durchmaß, ehe er sich -  angewidert und geläutert - einem katholischen Kloster anschloss. François tut es ihm gleich und konvertiert am Ende des Buchs. Allerdings nicht zum schwächelnden Katholizismus, sondern zum erstarkenden Islam.

Wo bleiben Freiheit, Individualismus und Gleichberechtigung? Wie wird mit Andersdenkenden verfahren?  Für François in seiner Ichbezogenheit - und damit die Romanhandlung - stellen sich diese Fragen gar nicht erst. Auch dass er vorübergehend seine Stelle an der nun islamischen Universität verliert, lässt ihn fast gleichgültig, da das neue Regime ihn mit einer großzügigen lebenslangen Rente ausgestattet hat. Als negativ empfindet er nur, dass Frauen komplett aus dem öffentlichen Leben verschwinden, und er obendrein keine Studentinnen mehr kennenlernen darf. Seine jüdische Geliebte Myryam wandert samt Familie nach Israel aus. Es bleiben ihm nur die Huren.

Schließlich löst François dieses Problem mit der Konversion: Wie ihm der neue Universitätsrektor Rediger - als  Zerrbild einen kalten Sozialdarwinisten und Menschenverächters gezeichnet - erläutert, darf er sich als Universitätsprofessor zu den Alphatieren zählen, die das Recht auf mehrere Frauen haben, um sich optimal fortzupflanzen.

Der Titel Unterwerfung ist nicht nur eine Übersetzung des Begriffes Islam, er spielt auch auf den erotischen Roman "Geschichte der O." von Pauline Réage an: Rediger, so erfährt François, wohnt in dem herrschaftlichen Haus, in dem dieser Klassiker der Unterwerfungsliteratur geschrieben wurde. Hurra, wir unterwerfen uns (handelt davon nicht auch der aktuelle Bestseller "Fifty Shades of Grey"?) Großinquisitor, ick hör dir trapsen.

"Es gibt keine Sorge, die den freien Menschen so ununterbrochen quälte wie diese, das Wesen so schnell es geht zu suchen, vor dem er sich in Andacht verneigen könnte; denn der Mensch sehnt sich danach, ihn drängt es, das anzubeten, das unbedingt und zweifellos ist, damit auf diese Weise alle Menschen ohne Unterschied in diese Andacht einwilligten. Denn die Sorge dieser erbarmungswürdigen Geschöpfe liegt nicht darin, den Gegenstand zu suchen, vor dem ich oder ein anderer uns verneigten, sondern eben jenen, an den alle glaubten, und vor dem sie dann in die Knie sänken, alle, alle zusammen." (Fjodor Dostojewski: Die Brüder Karamasow)

Ein Schlüsselszene spielt sich im TGV ab. François hat ein christliches Kloster besucht, ohne von dessen Geist ergriffen zu werden. Im Zug beobachtet er einen Geschäftsmann um die Fünfzig an der Seite von zwei verschleierten, fast noch jugendlichen Mädchen - offenbar seine Frauen.
"En régime islamique, les femmes - enfin, celles qui étaient suffissament jolies pour éveiller le désir d'un époux riche - avaient au fond la possibilité de rester des enfants pratiquement tout leur vie. Peu après etre sorties de l'enfance elles devenaient elles-memes mères, et replongaient dans l'univers enfantin."
Wahrscheinlich ist es ihnen egal, ob sie sich einem Ehemann, einem Gott oder den neuesten Moden, die kapitalistische Großkonzernen diktieren, unterwerfen.
Zum Stil: "Soumission" ist eigentlich kein Roman, eher eine theoretische gesellschafts- und geopolitische Skizze. Die Handlung rund um François  nimmt wenig Platz ein, stattdessen doziert der Erzähler über Seiten hinweg oder lässt seine Figuren dozieren. In seiner Ironie ist das durchaus spannend, aber nicht unbedingt packend. Vielleicht ist zum Thema Unterwerfung auch schon Besseres geschrieben worden.

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