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Mittwoch, 5. September 2012

Christian Kracht: Imperium

Gibt es an Christan Krachts "Imperium" irgendetwas auszusetzen? Natürlich nicht. Es ist ein Meisterwerk. In bewusst altfränkisch-verschmitztem Sprachfluss - Kracht vergleicht ihn im Gespräch mit Denis Scheck selbst mit Erich Kästner - erzählt er die Geschichte von August Engelhardt, einem Nürnberger Lebensreformler, Nudisten und Veganer der wilhelminischen Kaiserzeit.

Engelhardt kauft im Bismarck-Archipel eine Insel und züchtet dort Kokosnüsse, von denen er sich fortan ausschließlich ernährt. Nicht nur mit dem von ihm verachteten deutschen Südsee-Kolonialzirkus, auch mit vereinzelten Anhängern, die ihn auf dem Eiland besuchten, zerstreitet sich Engelhardt, den einseitige Ernährung und Alleinsein zunehmend krank und kauzig machen.

Cameo-Auftritte haben Hermann Hesse, Thomas Mann und Franz Kafka - alle durch kurze Schlaglichter herrlich in ihrem Wesen getroffen. Aber auch Kapitän Christian Slütter, der tragische Held aus Hugo Pratts Corto-Maltese-Comic "Südseeballade" darf in dieser perfekt inszenierten Schmierenkomödie mitspielen, an deren  Bühnenhimmel sich unverkennbar die schwarzen Wolken von Weltkrieg und Naziwahn zusammenziehen. Der Traum vom neuen Menschen wird nicht wahr. Er erweist sich als Alptraum.

Wer taucht auf? "Ein tamilischer Gentleman, dessen blauschwarze Haut in seltsamem Kontrast zu den schlohweißen Haarbüscheln stand, die ihm dergestalt aus den Ohren ragten, als seien sie links und rechts an seinem Kopf befestigte, wollige Blumenkohlbüsche". Ich schätze, Kracht hat einen solchen auf seinen Reisen gesehen. Ein australischer Soldat und Vergewaltiger kommt aus der Stadt Wagga Wagga – hier vermute ich erfreut, dass Kracht das Hinweisschild auf diese Partnerstadt bei einem seiner Besuche in Nördlingen aufgefallen ist.

Ein durchnässter Berliner lehnt an einer Hauswand "und isst, mesmerisiert kauend, eine jener labberigen Bratwürste. Die überfettete, gleichgültige Trostlosigkeit, das graue Lamentat seiner borstig geschnittenen Haare, die öligen Wurstsprenkel zwischen seinen groben Fingern". Eine junge Frau schleicht nachts über ein Schiffsdeck "wie eine ingwerfarbene, desinteressierte Katze". Alles Szenen wie von einem ratternden Kinematographen vorgeführt. Kinematographen-Ästhetik, Kästner-Ton. Lesen.

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