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Donnerstag, 14. Juli 2011

Ghosts of Spain (Kritik vom Februar 2007)

Sehr empfehlenswert ist das Buch "Ghosts of Spain - Travels through a Country's hidden Past" vom britischen Spanienkorrespondeten Giles Tremlett (Verlag Faber&Faber). Es fasst nicht nur Geschichte und aktuelle politische Lage Spaniens sehr kompetent zusammen, sondern beschert allen Lesern, die längere Zeit in Spanien leben oder gelebt haben, unzählige "Genauso ist es"-Erlebnisse.

Was hat es mit der spanischen Sucht nach dem Neuen und der Verachtung für alles Alte und Historische auf sich? Wie verträgt sich der sprichwörtliche spanische Stolz mit dem latenten Minderwertigkeitsgefühl aller Spanier? Was hat es mit dem übertriebenen Sauberkeitswahn, der Liebe zum Lärm, der ungezügelten Bauwut, dem bedingungslosen Hierarchiedenken vieler Spanier auf sich? Warum sind Spanierinnen verrückt nach Schönheitsoperationen? Spukt der alte Franco immer noch in vielen Köpfen herum? Was treibt die Separatisten um? Wieso ist spanische Kultur ohne die verachteten Gitanos nicht denkbar?

Auf 420 informativen Seiten nimmt der Autor schlüssig zu all diesen und vielen weiteren Fragen Stellung. Er entwickelt seine eigenen Theorien, denen man folgen kann oder nicht, die aber immer von einer tiefen Sympathie für Spanien und seine Bewohner geprägt sind.

Montag, 4. Juli 2011

Der Meister des Jüngsten Tages (1923)

Von Leo Perutz. Ein Buch als Mörder und die bange Frage, wem der Leser glauben soll - darf - muss. Dem Erzähler oder dem "Herausgeber", der den Erzähler im Nachwort der Lüge, des Meineids und der Schuld am Selbstmord eines Schauspielers bezichtigt?

Ein Spiel mit dem Miterleben, dem Sich-Einlassen auf die Glaubwürdigkeit des Erzählten (zumal im Kriminalroman) und dem Mitfiebern im wahrsten Sinne - sind es Fieberträume, die der beschuldigte Rittmeister niederschreibt?

Ein Buch, dessen Autor posthum uneingeschränkte Macht über den Leser gewinnt - nicht Unvorstellbares für einen begeisterten Leser. Ein Motiv, das übrigens auch wieder in "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" auftaucht - dort ist es Tom Riddles Tagebuch.

Armand Coppens: Memoiren eines Erotica-Händlers

Es gibt Bücher, die sind noch gar nicht so alt und doch aus einer so vergangenen Zeit, dass man sich bei jedem Satz wie ein Eindringling vorkommt. Ein liebenswertes Relikt aus einer so fernen Zeit sind die "Memoiren eines Erotica-Händlers" von Armand Coppens von 1970 (!) Das war eine Epoche, in der erotische Bücher noch verboten waren, unter dem Ladentisch gehandelt wurden, ähnlich unzugänglich wie heute etwa Drogen.
Es waren aber auch noch Zeiten, in denen das Medium Buch noch eine wirkliche, existenzielle Bedeutung hatte. Heute ist solche Literatur überall und jederzeit zugänglich, allerdings fehlt der Zauber des Verbotenen, der sich damals wohl mit dem jahrhundertealten Zauber des Buches vereinte. Viele Anekdoten aus der Welt des etwas anderen Buchhandels hat Coppens sicher nur aufgeschnappt und wiedergegeben. Anderes ist amüsant, vieles bezeichnend: Für ein gutes Geschäft tut dieser Buchhändler fast alles, wie ein Drogendealer weiß er die Sucht seiner Kunden zu Geld zu machen. Das wiederum ist nicht aus der Mode gekommen.

Samstag, 2. Juli 2011

Das Seifenopern-Quartett

Ich hoffe ja immer darauf, in einem Grabbeltisch auf die große, (von mir) bisher unentdeckte Romanperle zu stoßen. Was fesselt meine Aufmerksamkeit? Schöne Buchgestaltung ist wichtig, denn es geht auch um das Produkt Buch – auch wenn dieses Vorgehen vom eigentlichen Zweck, einen inhaltlich fesselnden, hochwertigen Roman zu finden, manchmal ablenkt. Ins Buch selbst lese ich nur ganz selten hinein, und wenn, dann auch nicht am Anfang, sondern an einer beliebig aufgeschlagenen Stelle. Dabei geht es mir um den Stil, nicht um Handlung oder Story. Für diese ist der Klappentext zuständig.


Der Klappentext ist für mich der wirklich entscheidende Köder. Entweder er wirkt oder eben nicht. Manchmal habe ich damit auch schon daneben gegriffen, wenn also der Klappentextschreiber im Gegensatz zum Buchautoren ein begabter Geschichtenerzähler war, der verdichten und fesseln konnte. Nicht so im Fall von Tonino Benaquistas „Seifernopern-Quartett“, 1997 in Frankreich erschienen, 1998 auf Deutsch, seither vergessen und von mir elf Jahre später auf einem Wühltisch für einen Euro gefunden.


In diesem Fall steht da: „Drei Männer und eine Frau, gebeutelt vom Leben und beruflich am Ende, sind in einem Zimmer zusammengepfercht und schreiben eine Fernsehserie. Die einzige Bedingung des Senders: so billig und schnell wie möglich. Denn die Seifenoper, ausgestrahlt in den frühen  Morgenstunden, wird sowieso keiner sehen. Es geht dem Sender nur um die Anhebung des nationalen Filmanteils, denn wir sind in Frankreich...“ Beim Abtippen bemerke ich, dass ich diese drei Pünktchen – sie sind im Text so enthalten, affig finde. Fiel mir aber vorher nicht auf, und änderte jedenfalls nichts daran, dass mich dieser Klappentext, der dann noch weiter besagt, dass eben diese Serie zum Kult und richtig beliebt wird und damit die Probleme für das Autorengespann beginnen, erreicht hat. Ich habe das Buch also mitgenommen und diesen Schritt nicht bereut.


Der Autor hatte nicht nur – wie der Klappentext beweist – eine gute Idee, sondern er hat sie auch perfekt umgesetzt. „Das Seifernopern-Quartett“ hat alles, was das Leseerlebnis ausmacht. Der Heißhunger, immer noch eine Seite umblättern zu müssen. Das verliebte Gefühl, das sich einstellt, wenn ich an einer entscheidenden Stelle Schluss mache, um das Gelesene wirken zu lassen, mir die mögliche Fortsetzung und Auflösung der Situation auszumalen und sie meinen Tag begleiten zu lassen, nur um die Lektüre dann umso gieriger wieder aufzunehmen.


Den Kunstgriff, zwei Personen-Sets auf zwei Ebenen der Realität auftreten zu lassen, ist zwar uralt. Aber hier macht er Spaß. Die Handlung, die sich die vier Autoren ausdenken ist skurril. Sie ist nicht beschrieben sondern erzählt, man blickt den Skriptschreibern also quasi über die Schultern. Diese Arbeit hat sich der Autor gemacht und das zahlt sich aus.

Fantastereien

E.T.A. Hoffmann ist großartig, schauderhauft, beklemmend, undurchsichtig, ekstatisch, keine Frage. Und er ist ein echter Theatermann.

Was liegt also näher, als sein großes Fantasiemärchen, den Gold(e)nen Topf, als Theaterstück zu inszenieren? Ein Schuss Tim Burton, eine Prise tschechischer Märchenfilm, viel Ausstattung und Musik - voilà.

Allein: Da sind nicht nur die schaurigschönen Figuren, die das Märchen bevölkern - das runzlichte Apfelweib, die verwunschene Schlange Serpentina mit den blauen Augen, der biedermeierfeiste Konrektor Paulmann, der irrlichternde Student Anselmus, der gandalfeske Alchimist Lindhorst.Da sind auch auf beinahe jeder Buchseite ausschweifende Gedankengänge und Sinnierereien eines Erzählers zum Großen Ganzen à la

Versuche es, geneigter Leser, in dem feenhaften Reiche voll herrlicher Wunder, die die höchste Wonne sowie das tiefste Entsetzen in gewaltigen Schlägen hervorrufen, ja, wo die ernste Göttin ihren Schleier lüftet, dass wir ihr Antlitz zu schauen wähnen – aber ein Lächeln schimmert oft aus dem ernsten Blick, und das ist der neckhafte Scherz, der in allerlei verwirrendem Zauber mit uns spielt, so wie die Mutter oft mit ihren liebsten Kindern tändelt – ja! in diesem Reiche, das uns der Geist so oft, wenigstens im Traume aufschließt, versuche es, geneigter Leser, die bekannten Gestalten, wie sie täglich, wie man zu sagen pflegt im gemeinen Leben, um dich herwandeln, wiederzuerkennen.

Würde man jedem Autoren um die Ohren hauen."Orientalischen Schwulst" würde es Hoffmanns Figur Paulmann nennen. Aber das ist ein Märchen und der genialische Hoffmann ist nicht Hemingway.

Er durfte das. Er konnte das. Soll aus dem Goldnen Topf ein Theaterskript werden, ist das dennoch eine gewaltige Herausforderung. Ob wir sie meistern, wird sich im November zeigen.

Demnächst mehr zum Goldnen Topf.

Lyrik einer nackten Seele

Eine Große der Dichtkunst war sie nicht, die 1984 gestorbene Tänzerin Claire Bauroff. Dafür ist ihr nun erschienener Gedichtband „Wandlung aber ist das Leben“ ein faszinierendes Stück Kunst- und Zeitgeschichte. Er ist die erste Veröffentlichung zu Bauroff, die in den Zwanzigerjahren in Berlin, Wien und München als Pantomimin und Aktmodell triumphierte. Bauroffs späte Gedichte, wohl eher als eine Art privates Tagebuch entstanden, enttäuschen, wo „Bergbäche rauschen“ und das Meer in kleinen Wellen „plaudert“ – sie fesseln aber, wo der menschliche Körper im Mittelpunkt steht, in Anspannung beim Tanz, in seinem Verfall in Krankheit und Alter.

Spannend zu lesen ist das Nachwort, das Bauroffs Rolle in der Bohème der Weimarer Republik in Dokumenten aufleben lässt. Etwa Hermann Brochs Gedicht „Die Tänzerin“. Der Wiener Philosoph und Schriftsteller erlebte eine kurze, intensive Affäre mit Bauroff. In die Kunstgeschichte ging Bauroff, die aus Weißenhorn bei Neu-Ulm stammte, als Modell für Fotografinnen wie Lotte Jacobi oder Trude Fleischmann ein. Einige Fleischmann- Fotografien sind in dem Büchlein zu sehen. Die meisten zeigen Bauroff so, wie sie das Publikum in der Berliner Scala und anderen Tanztheatern bewunderte: splitternackt. Das ähnelt jedoch weder der verklemmten Pornografie jener Zeit, noch der der unfreiwilligen Komik der frühen Nudistenbewegung, schon gar nicht dem plumpen Körperkult der Nazis.
 
Bauroff schuf in ihren Pantomimen, Performances, Stummfilmauftritten und Körperskulpturen eine selbstbewusste, heute noch bezaubernde Nacktheit, die ein Kritiker 1925 die „Lyrik des Körpers“ nannte. Er schrieb: „Ihr ganzer Körper sieht dich an: nackte Seele.“

Bernhard Hampp
(Erschienen in Schwäbische Zeitung, 20. Mai 2011 )

Das bisschen was ich lese, schreibe ich mir selbst

Tucholsky hat es richtig gemacht. Leider lese ich persönlich viel zu gerne, als dass ich auf mein eigenes Geschreibsel angewiesen sein möchte. Also: Das Passive mit dem Aktiven verbinden. An dieser Stelle werde ich deshalb Buchlobhudeleien wie auch Buchverrisse präsentieren.