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Dienstag, 11. Februar 2020

Raphaela Edelbauer: Das flüssige Land

Raphaela Edelbauer macht weiter, wo Rosendorfer, Doderer und Herzmanovsky-Orlando aufgehört haben. Magischer Realismus vom Feinsten. Ein wirklich starkes Buch.

Die Handlung: Die Wiener Physikerin Ruth Schwarz ist schockiert vom Unfalltod ihrer Eltern. Laut Testament möchten die beiden in Groß-Einland, dem Ort ihrer Kindheit, beerdigt werden. Aber wo ist dieses Groß-Einland, von dem Ruth bislang nichts ahnte? Es ist in keiner Karte verzeichnet. Wie benebelt macht sich Ruth auf den Weg und findet schließlich hinter einem großen Wald den grotesk idyllischen Ort.

Die Idylle hat Risse, das wird auf surreale Weise augenfällig. Denn unter dem Ort befindet sich ein riesiger Hohlraum in der Erde - ein ehemaliges Bergwerk - , der nicht nur an verschiedenen Stellen den Untergrund einbrechen lässt und für Risse in den Bauwerken sorgt, sondern auch die gesamte Statik aus den Fugen bringt. Der ganze Raum - und mit ihm die Zeit - scheint flüssig.

"Der Mensch ist ja mit der Heimat verheiratet, mit dem Untergrund, aus dem wir alle kommen", sagt einer beim Skatspielen.

"In Wochen, in denen die Einbrüche rasch vor sich gingen, schien die Zeit  zu rasen und man hatte kam Gelegenheit, die vielen Veränderungen im Ortsbild zu bemerken, sodass sich in wenigen Momenten die Verwitterung von Jahren zu ereignen schien. Blieb aber alles konstant, so nahm der Fluss der Dinge fast eine gewisse Zähigkeit an, und die Monate rollten in belangloser Indolenz über mich."

Ruth stemmt sich nicht gegen die surreale Welt, sondern - hier lässt das Ganze an Franz Kafka denken - richtet sich auf eine schlafwandlerische Art über Jahre in ihr ein. Sie tritt eine Stelle bei der dominanten Gräfin an, die fast operettenhaft über den Ort herrscht und seine Bewohner wie Marionetten lenkt.

Die Gräfin sagt: "Da ist die alte Ordnung, wie wir sie hier praktizieren, und dann die neue, die an einem gewissen Stichpunkt einfach über die erste gebreitet wurde, ohne auf die gewachsenen, organischen Strukturen Rücksicht zu nehmen."

Ruth entdeckt aber auch: Das riesige Loch, das die Gräfin erst im Rahmen einer Kunstaktion zum Touristenmagnet machen und dann verfüllen lassen will, weist auf ein großes Verbrechen im Nationalsozialismus hin. Wohin sind 750 Zwangsarbeiter quasi über Nacht verschwunden? Möchte Ruth dieses Rätsel lösen? Alles fließt.

Raphaela Edelbauer spielt gekonnt mit Sprache, Raum, Zeit, Erwartung und Angst.

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