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Sonntag, 22. Mai 2016

Isabel Bogdan: Der Pfau

Scones und Darjeeling Tea bereitstellen, in eine karierte Wolldecke einmummeln und Isabel Bogdans "Der Pfau" aufschlagen. Dieses Buch gefällt Euch, wenn Ihr Fans von Inspector Barnaby (ich persönlich liebe die Serie), Miss Marple (zumindest ihrer ereignisloseren Fälle), Lord Peter Wimsey und dieser Seite seid.

Auf dem Herrenhaus von Lord und Lady McIntosh in den schottischen Highlands findet sich die Investmentabteilung einer Londoner Privatbank zum Teambuilding-Seminar ein. Dummerweise schlägt das Wetter um und die vier Banker mit ihrer Chefin, die samt Psychologin und Köchin angereist sind, werden eingeschneit. Sonst passiert: wenig bis nichts. Eine Gans, ein Hund und natürlich der namensgebende Pfau bringen die Gesellschaft durcheinander - aber so schlimm ist es dann auch wieder nicht. Am Schluss - soviel sei verraten - ist ein Lackschaden am Chefinnen-Auto, den der wildgewordene Pfau verursacht hat, die schlimmste Folge. Und der Pfau, naja, der Pfau. Mit dem Pfau geschieht so einiges.

Es gibt diese Menschen, und - man gebe mir dafür entsprechend auf den Deckel - es sind meistens Frauen. Stundenlang können sie plaudern über Nichtigkeiten, das Gleiche und Gleiche hin und her wälzen, es nochmal so herum betrachten und nochmal so herum. Meistens drehen sich diese Gespräche dann um die jeweils Abwesenden, ihre Beziehungen, ach ja, und ihre allzumenschlichen Schwächen. Agatha Christie zeichnet Miss Marple als eine solche - allerdings hinterlistige - Plaudertasche. Isabel Bogdan, die bisher Übersetzerin unter anderem für die Bücher von Nick Hornby und Jonathan Safran Foer war, gerät in ihrem ersten Roman in dieses Fahrwasser.

Kein schlechtes Buch. Auch kein unlustiges. Aber ein geschwätziges. Warum muss alles, alles, alles immer wieder rekapituliert werden? Warum muss ständig wiederholt werden, was jede einzelne Person - vom kriecherischen Banker Bernard bis zur abenteuerlustigen Köchin Helen - denkt, nicht denkt, weiß, nicht weiß, verschweigt, nicht verschweigen kann, weil er/sie es ja nicht weiß, sich kurz überlegt auszuplaudern, es aber dann aus Gründen, die mehrfach ausführlich dargelegt und erörtert werden müssen, unterlässt?

Vielleicht muss es so sein, damit die Atmosphäre stimmt. Und die stimmt. Nicht wahr, Mrs Bogdan? Noch etwas Tea?

Montag, 16. Mai 2016

Michael Köhlmeier: Das Mädchen mit dem Fingerhut

Ein fantastisches Buch. Keines, das glücklich macht.

Ein elternloses Mädchen streift durch die Stadt. Niemand weiß ihren Namen. Sie versteht die Sprache der anderen nicht. Die anderen verstehen sie nicht. "Yiza" sagt sie, deshalb wird sie so genannt: Yiza.

Yizas letzte Bezugsperson, der "Onkel", der sie Betteln schickte, ist spurlos verschwunden. Yiza kommt ins Heim und flieht mit den beiden Jungen Arian und Schamhan. Sie sind hungrig , schlagen sich durch, brechen in ein Haus ein, die Polizei greift sie auf, Yiza und Arian fliehen, sie übernachten in einem Gewächshaus und Yiza bekommt schweres Fieber. Eine alte Frau findet Yiza, pflegt sie gesund, möchte sie aber besitzen und sperrt sie ein. Arian kommt zu Yizas Rettung. Das böse Märchen endet genauso gewaltsam und hoffnungslos, wie es begonnen hat.

Der Österreicher Köhlmeier erzählt diese dunkelgraue Geschichte ausschließlich aus Sicht der Kinder. Sie, die um Sprache ringen, die die Welt nicht verstehen und von dieser nicht verstanden werden, entfachen eine unfassbare Wortgewalt. Nachts irrt Yiza durch die verschneiten Straßen und endet vor der Kirchentür:

"Weil sie den Kopf hob, war ihr, als beugte sich die schwarze Pforte über sie und wollte sie zudecken."


Hans Christian Andersens "Mädchen mit den Schwefelhölzern" ist als Vorbild überdeutlich in dieser Geschichte, die in unserer Zeit, in der weltweit einsam flüchtende Kinder unterwegs sind, aktueller nicht sein könnte. Wie Andersens Märchen endet "Das Mädchen mit dem Fingerhut" in einer Traumsequenz. Die lässt alle Deutungen zu, der Leser geht aber unweigerlich vom Schlimmsten aus.

Was Köhlmeier mit seinem karg und poetisch erzählten Werk vor allem weckt (und damit thematisiert): Mitleid. Größer könnte das Mitleid nicht sein. Der Leser möchte die Seiten aus dem Buch herausreißen, um diesem gequälten Geschöpf die Ungerechtigkeit zu ersparen. Alle haben Mitleid mit dem Mädchen. Mit den anderen Zerlumpten, die älter und hässlicher sind, hat keiner Mitleid.

Freitag, 13. Mai 2016

David Sedaris: Ich ein Tag sprechen hübsch

"Ich ein Tag sprechen hübsch". Das ist der sehnliche Wunsch der verstörten und verzweifelten Schüler eines Kurses für Erwachsene, die in Paris, unter der Knute einer sadistischen Französischlehrerin von einem besseren Leben träumen.

In verräucherten Korridoren zusammengerottet und das Beste aus unserem mitleiderregenden Französisch machend, pflegten meine Mitschüler und ich die Art von Konversation, wie man sie wohl meist in Flüchtlingslagern zu hören kriegt.
"Manchmal mich weine allein bei die Nacht."
"Das ist für mich gewöhnlich auch, aber sein mehr stark, du. Viel Arbeit, und ein Tag man hübsch spricht. Leute bald stoppen einen hassen. Vielleicht morgen, okay?"

Mittendrin in dieser Schar der Geknechteten ist David Sedaris. Wie dem Autor in diesen, 2000 erschienenen, Anekdoten aus seinem Leben überhaupt pausenlos Unrecht geschieht. Er muss gegen die hinterhältige Logopädin, den verständnislosen Gitarrenlehrer, den hölzernen Vater, seine peinlichen Landleute in Paris und eine ganz und gar unverständige Welt kämpfen. Und dann auch noch Raleigh, North Carolina, wo er aufzuwachsen verdammt ist. Nicht zu ertragen, der Arme. Allein auf verlorenem Posten. Wo er doch viel lieber, wie sein späterer Lebensgefährte Hugh, in Äthiopien unter der Plane eines Militärlasters zusammengepfercht worden wäre.

In seinen urkomischen, betont weinerlichen Stories ist Sedaris unschlagbar. Selbstironie und Doppelbödigkeit par excellence. Ein Schelmenroman von Christian Reuters (*1665) Gnaden. Aber bevor ich jetzt noch weiter groß auf der Metaebene herumschwadroniere: selber lesen.

Mittwoch, 4. Mai 2016

Volker Weidermann: Ostende 1936 - Sommer der Freundschaft

Zu Filmen auf DVD gibt's oft  Bonusmaterial. Es bietet einen Blick hinter die Kulissen, ein Making-of, ein Gespräch mit dem Regisseur und ähnliches. Ist der Film gut, schaue ich mir dieses Bonusmaterial ganz gern an. Der Film sind in diesem Fall die Werke von Stefan Zweig, Josef Roth, Irmgard Keun, Egon Erwin Kisch, Ernst Toller, Arthur Koestler, Hermann Kesten und vielen anderen. Das Bonusmaterial ist diese biografische Skizze aus dem Jahr 1936, als alle diese Exilautoren - und noch mehr Verfemte und Vertriebene des Naziregimes - im belgischen Badeort Ostende aufeinandertrafen. Beides ist es wert.

Literaturkritiker Weidermann, zurzeit "Der Spiegel" und "Literarisches Quartett", veröffentlichte dieses Buch 2014, als er noch Feuilletonchef der FAS war. Er hat unendlich viel Material gesammelt, wunderbare Briefe und Zitate ausgegraben - wie Zweigs göttlichen Text "Das Buch als Eingang zur Welt" - und eine leichtfüßige Erzählung daraus gemacht. Das Gegenteil von bleischwerer Sekundärliteratur.

Es ist wohl kein Zufall dass das alles sehr an die psychologisch fein gezeichneten historischen Biografien Stefan Zweigs wie in "Sternstunden der Menschheit" erinnert. Was Weidermann nicht belegen kann, konstruiert er nach dem Prinzip der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit - und es ist letztlich egal, wass er hinzugefügt hat. Denn so könnten sie wirklich gelaufen sein: Die Runden Egon Erwin Kischs im Kreise seiner kommunistischen Kampfgenossen. Die Gespräche zwischen Zweig und seinem bettelarmen, abgerissenen, versoffenen, weinerlichen, aber genialen und geliebten Freund Joseph Roth.

Die Vertrautheit zwischen dem Schriftsteller Zweig, der gerade dabei ist, alles zu verlieren, und seiner scheuen Sekretärin und Geliebten Lotte Altmann. Und die ganz große Liebe zwischen Joseph  Roth und Irmgard Keun. Sie spornen sich gegenseitig zum Schreiben an, saufen gemeinsam, und sie hält ihn, wenn er sich morgens übergeben muss. Irgendwann erträgt sie ihn nicht mehr, sie flieht und schreibt in einem Brief: "Es war wie immer. Es war das Ende."

Eine unbeschwerte Urlausstimmung ist das nicht. Die Katastrophe ist nah. Für einige ist sie schon da, für alle wird sie kommen. Viele haben schon alles verloren, andere klammer sich an das, was sie noch haben, und  wollen - wie Zweig - offenbar nicht wahrhaben, dass das größte Unheil noch über sie kommt. Sie müssen weiter, weg aus Europa, oder direkt in den Kampf, wie Arthur Koestler in den spanischen Bürgerkrieg. Es wird noch schlimmer - für fast alle, nach diesem Sommer in Ostende.