Seiten

Donnerstag, 13. August 2015

Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini

Noch ein Ferdinand von Schirach. Dieses Buch ist 2011 erschienen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern "Verbrechen" und "Schuld" erzählt es nicht wahre Fallgeschichten, sondern eine fiktive Handlung, die gleichwohl auf Geschehnissen der Zeitgeschichte beruht und Parallelen zu prominenten Fällen aufweist. Am meisten wohl zum Prozess um den SS-Mann Friedrich Engel im Jahr 2002.

Gastarbeiter Fabrizio Collini hat bis zu seinem Ruhestand friedlich in Deutschland gelebt. Dann sucht er eines Tages ein Hotel auf, erschießt einen 85-jährigen Industriellen, tritt dessen Leiche wieder und wieder mit den Schuhen ins Gesicht und stellt sich bereitwillig der Polizei.

Der junge Anwalt Caspar Leinen übernimmt die Pflichtverteidigung. Dann erst erfährt er, dass es sich beim Opfer um Hans Meyer handelt, der ihm in seiner Kindheit ein großväterlicher Freund war. Leinen entschließt sich, Collini dennoch zu verteidigen. Der Täter schweigt. Warum hat er den scheinbar unbescholtenen Meyer so brutal ermordet? Niemand weiß es, auch während des Prozesses hält das Schweigen an.

Was nun kommt, ist sehr vorhersehbar. Leinen hat einen Geistesblitz und beginnt zu recherchieren: Natürlich, Meyer war ein Nazi. Er hat als SS-Sturmbannführer in Italien Partisanen erschießen lassen, darunter auch Collinis Vater. Collini selbst hat vergeblich versucht, Meyer vor Gericht stellen zu lassen. Als letzten Ausweg wählt er den Mord.

Ferdinand von Schirach, dem der Name seines Großvaters, des NS-Reichsjugendführers und verurteilten Kriegsverbrechers Baldur von Schirach ewig anhaften wird, hat hier ein Stück reale Zeitgeschichte in einen Krimi gepackt. Hintergrund ist das sogenannte Dreher-Gesetz: Eduard Dreher, einst strammer Nazi und Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck, machte später in der Justiz der Bundesrepublik Karriere. Im Bundesjustizministerium gestaltete er in den Sechzigerjahren maßgeblich ein Gesetz, das rückwirkend Strafen für NS-Schreibtischtäter verjähren ließ.

Fast alle, die im "Dritten Reich" gemordet hatten, galten als Mordgehilfen. Mit Drehers Gesetz waren die nicht mehr zu belangen: Das trifft auch auf Schirachs fiktiven Hans Meyer zu. Der Verdienst dieses Buches ist auch, diesen extrem peinlichen Vorfall in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik ins Gedächtnis zu rufen.

Gleichzeitig ist "Der Fall Collini" wieder ein interessanter Essay über das Recht. Gilt es für alle, sind einige gleicher? Kann man es zerreden oder dehnen oder kaufen? Spannende Fragen spannend erörtert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen