Noch ein Ferdinand von Schirach. Dieses Buch ist 2011 erschienen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern "Verbrechen" und "Schuld" erzählt es nicht wahre Fallgeschichten, sondern eine fiktive Handlung, die gleichwohl auf Geschehnissen der Zeitgeschichte beruht und Parallelen zu prominenten Fällen aufweist. Am meisten wohl zum Prozess um den SS-Mann Friedrich Engel im Jahr 2002.
Gastarbeiter Fabrizio Collini hat bis zu seinem Ruhestand friedlich in Deutschland gelebt. Dann sucht er eines Tages ein Hotel auf, erschießt einen 85-jährigen Industriellen, tritt dessen Leiche wieder und wieder mit den Schuhen ins Gesicht und stellt sich bereitwillig der Polizei.
Der junge Anwalt Caspar Leinen übernimmt die Pflichtverteidigung. Dann erst erfährt er, dass es sich beim Opfer um Hans Meyer handelt, der ihm in seiner Kindheit ein großväterlicher Freund war. Leinen entschließt sich, Collini dennoch zu verteidigen. Der Täter schweigt. Warum hat er den scheinbar unbescholtenen Meyer so brutal ermordet? Niemand weiß es, auch während des Prozesses hält das Schweigen an.
Was nun kommt, ist sehr vorhersehbar. Leinen hat einen Geistesblitz und beginnt zu recherchieren: Natürlich, Meyer war ein Nazi. Er hat als SS-Sturmbannführer in Italien Partisanen erschießen lassen, darunter auch Collinis Vater. Collini selbst hat vergeblich versucht, Meyer vor Gericht stellen zu lassen. Als letzten Ausweg wählt er den Mord.
Ferdinand von Schirach, dem der Name seines Großvaters, des NS-Reichsjugendführers und verurteilten Kriegsverbrechers Baldur von Schirach ewig anhaften wird, hat hier ein Stück reale Zeitgeschichte in einen Krimi gepackt. Hintergrund ist das sogenannte Dreher-Gesetz: Eduard Dreher, einst strammer Nazi und Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck, machte später in der Justiz der Bundesrepublik Karriere. Im Bundesjustizministerium gestaltete er in den Sechzigerjahren maßgeblich ein Gesetz, das rückwirkend Strafen für NS-Schreibtischtäter verjähren ließ.
Fast alle, die im "Dritten Reich" gemordet hatten, galten als Mordgehilfen. Mit Drehers Gesetz waren die nicht mehr zu belangen: Das trifft auch auf Schirachs fiktiven Hans Meyer zu. Der Verdienst dieses Buches ist auch, diesen extrem peinlichen Vorfall in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik ins Gedächtnis zu rufen.
Gleichzeitig ist "Der Fall Collini" wieder ein interessanter Essay über das Recht. Gilt es für alle, sind einige gleicher? Kann man es zerreden oder dehnen oder kaufen? Spannende Fragen spannend erörtert.
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Donnerstag, 13. August 2015
Dienstag, 4. August 2015
Ferdinand von Schirach: Verbrechen
Ferdinand von Schirachs wahre Fallgeschichten haben ja inzwischen für Furore gesorgt und sind auch für das Fernsehen verfilmt worden. Dies ist seine 2009 erschienene erste Sammlung von elf Kurzgeschichten, die auf Fällen aus Schirachs Arbeit als Strafverteidiger beruhen.
Schirachs Stil ist edel. Gutes, klares Deutsch, kurz und knapp, ohne haltloses Psychologisieren oder künstliche Dramatik. Die ergibt sich von alleine. Sehr lesenswert.
Ein freundlicher 72-jähriger Arzt erschlägt nach vierzig Jahren Ehe seine Frau mit einer Axt: Ein Leben lang hatte sie ihn drangsaliert. Eine Frau tötet ihren geliebten, aber seit einem Unfall schwerstkranken Bruder und erhängt sich in der Gefängniszelle. Neuköllner Kleingauner klauen ahnungslos die Teeschale einer mächtigen japanischen Familie und müssen schmerzhaft erfahren, wozu echte Kriminelle bereit sind. Ein Politiker stirbt im Sessel einer illegal eingewanderten Prostituierten: Deren Freund zerstückelt die Leiche und vergräbt sie im Park - aus Liebe. Ein Museumswärter wird zum Kriminellen, weil er jahrelang auf die Plastik eines Dornausziehers starren muss.
Schirach hat die Fälle, die ihm selbst in der Praxis begegnet sind, verfremdet, Namen und Details verändert, um Persönlichkeitsrechte zu wahren. Sonst ist alles echt. Das Leben schlägt ohne viel Federlesens zu. Der Berliner Anwalt gibt Einblick in Parallelwelten, die direkt vor unserer Haustür sind, und mit denen wir in unserem Leben immer wieder in Kontakt kommen. Wenn wir nicht bewusst wegschauen. Manchmal, so wird klar, kann das Verbrechen auch in unser Leben hereinbrechen.
Kein Schwarz, kein Weiß, kein Gut, etwas Böse. Es ist nie ganz so einfach. Und meist ist der Gerichtsbeschluss dann auch noch anders als das Rechtsempfinden. Ein Anwalt, so wird deutlich, hat nicht die Aufgabe, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Er muss seinem Mandanten beistehen, Lücken in der Beweisführung finden. Die Bringschuld haben die anderen.
Diese Fälle lassen über den Rechts- und Justizstaat nachdenken, dem unsere Lebenswirklichkeit ja mehr unterworfen ist als irgendetwas sonst (mit Ausnahme vielleicht des Geldes, aber da gibt es bekanntlich Überschneidungen).
Schirachs Stil ist edel. Gutes, klares Deutsch, kurz und knapp, ohne haltloses Psychologisieren oder künstliche Dramatik. Die ergibt sich von alleine. Sehr lesenswert.