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Donnerstag, 16. April 2015

Roald Dahl: Die Prinzessin und der Wilderer

Ich geb's ja zu: Roald Dahl (1916-1990) gehört zu meinen persönlichen Lieblingsautoren. Mit herrlichen Romanen und Geschichten für Kinder und Erwachsene wie "Matilda", "Charlie und die Schokoladenfabrik" oder "Küsschen, Küsschen!" hat der Waliser die Menschheit ein Stück reicher gemacht.

Dieses Buch ist eine Sammlung von vier kurzen Geschichten, die in den Achtzigerjahren entstanden sind. Zuviel will ich hier gar nicht verraten, weil es immer auf den Knalleffekt ankommt. Es treten auf: Der unsympathische Buchhändler und seine pferdegebissige Sekretärin, die im Hinterzimmer eines Antiquariats in der Charing Cross Road schmierige Geschäfte machen, Prinzessin Busenschön, der ihre Attraktivität zu Kopf steigt und in Grausamkeit umschlägt, der potthässliche Wilderer Hengist, der vom König eine Frauen-Blankovollmacht bekommt und der Chirurg, dem ein saudischer Prinz ein Beutelchen aus schwarzem Samt überreicht.

Immer kommt es anders, als du denkst. Immer fallen die Grabenden in ihre eigenen Gruben. Immer dreht sich durch eine aberwitzige Wendung die Handlung ein zweites Mal. Immer brechen Lügengebäude krachend zusammen. Immer bekommen die Drecksäcke ihre verdiente Strafe. Dahl macht einfach Spaß.

Sonntag, 12. April 2015

Dorothy L. Sayers: Der Glocken Schlag

"Das ist so eine stille Gegend hier, wenn man da nicht über seine Nachbarn redet, worüber denn sonst?"

Das Dorf heißt Fenchurch St. Paul. Lord Peter Wimsey und seinen treuen Butler Bunter verschlägt eine Autopanne am Silvestertag in diesen verträumten Ort. Wie es der Zufall will, kommt Sir Peter gerade richtig, um einen Erkrankten beim neunstündigen Wechselläuten in der Pfarrkirche zu vertreten.

Wechselläuten - darum geht es hier: ein spleeniger englischer Brauch, bei dem mehrere Glocken von einem bis zu zwölfköpfigen Team mit Seilen und Rädern in einer mathematisch-ausgeklügelten Reihenfolge betätigt werden. Das Ganze wird selbstredend mit heiligem Ernst betrieben.


Kurze Zeit später findet der Totengräber in  Fenchurch St. Paul eine verstümmelte Leiche. Die Spur führt zu einem Juwelenraub vor vielen Jahren. Wer wäre geeigneter, den Fall aufzuklären, als Seine Lordschaft? Schließlich ist Sir Peter Wimsey erfolgreicher Ermittler und eine Art sympathischer Superheld, der selbst keinerlei Schwächen besitzt, aber großes Verständnis für menschliche Unzulänglichkeiten anderer zeigt. Dazu ist er niemals um einen launigen, schnodderigen Spruch verlegen. Seufz, der Gute.


Im Lauf der Ermittlungen machen der Leser und die Leserin gründliche Bekanntschaft mit dem Dorf und seinen Dörflern. Dieser Krimi aus dem Jahr 1934 (im Original: "The Nine Tailors") zeichnet sich dadurch aus, dass der Leser keine Sekunde im Ungewissen gelassen wird. Immer, wenn sich eine neue Spur abzeichnet, oder wenn Wimsey und Polizeichef Blundell eine neue Theorie zur Tat haben, wird das Ganze ausgiebig beim Tee erörtert. Spannend ist das nicht - und das unterscheidet es stark von Sherlock-Holmes-Krimis. Dorothy L. Sayers Stil ist gemächlich, behäbig, langatmig.

Die Handlung ist mitunter recht einfach gestrickt. So verrät ein "Zucken um den Mund" einen Lügner. Die entscheidende Wende führen Wimsey und die Polizisten mit einem billigen Trick herbei: Sie sperren zwei Verdächtige ein, lassen sie in einem Raum allein und hören mit einem (das war, zugegeben, damals noch Hightech) Mikrofon zu, wie sie sich gegenseitig von der Tat erzählen.

Aber es gibt auch Köstlichkeiten: Die echt englische Atmosphäre, die verregnete Moorlandschaft der Fens in East Anglia, das Herrenhaus, das Pfarrhaus, die kauzigen Dorfbewohner - das alles fügt sich stilecht in die sanft dahinplätschernde Erzählung ein. Interessant verpackt ist auch die Frage, wer in diesem Verwirrspiel die Guten und die Bösen sind. 


"Gutes tun, das Böses werde, das ist es, was mich so fuchst", damit beschreibt Whimsey an einer Stelle diese Unsicherheit.


Und nicht zuletzt die Rolle der Glocken, die ganz unterschiedliche Bedeutungen haben: Als schaurige Totenglocken, als markerschütternde Sturmglocken, wenn der Hochwasserdamm bricht und das ganze Dorf Zuflucht auf dem Kirchenhügel sucht, als Fliegeralarm im Krieg, als Kunst und Spiel beim Wechselläuten. Und noch mehr: Die neun Glocken Gaude, Sabaoth, John, Jericho, Jubilee, Dimity, Batty Thomas und Tailor Paul führen ein Eigenleben. Sie greifen schließlich entscheidend ins Geschehen ein. 

Donnerstag, 2. April 2015

Joanne K. Rowling: Ein plötzlicher Todesfall

Joanne K. Rowlings 2012 erschienener erster Roman für Erwachsene. Ich habe ihn mir in der Hörbuchversion von Christian Berkel vorlesen lassen.

Entspannte Lektüre im gemütlichen Sessel? Fehlanzeige. Das ist ein rabenschwarzes Sozialdrama, in dem am Ende nicht das kleinste Fünkchen Hoffnung bleibt.

Die Abgründe des Menschlichen - oder des Tierischen? - sind hier unvorstellbar tief. Alle haben Leichen im Keller. Unerfüllte Sehnsüchte, Komplexe und Ängste sorgen dafür, dass sich die Einwohner der Kleinstadt Pagford einander Wölfe sind.

Die Hauptfigur ist bereits tot: Barry Fairbrother, Gemeinderatsmitglied und Rudertrainer an der örtlichen Schule wird zu Beginn Opfer einer plötzlichen Hirnblutung. Um seinen Sitz im Gemeinderat entbrennt ein unerbittlicher Kampf, der bis aufs Messer geführt wird. Fairbrothers Todesfall soll nicht der einzige bleiben.

Aus den Harry-Potter-Romanen kennen wir die typische, weitschweifige Erzählweise, der wir hier genauso begegnen wie den Rowlingschen Wendungen, die unaufhörlich zwischen origineller Idee und Stilblüte oszillieren:
"...ein benutztes Kondom, das aussah wie der hauchdünne Kokon einer großen Made..."
"Ein Schweigen breitete sich über den Tisch wie ein frisches Tischtuch, makellos und erwartungsvoll."
"Ihr Katholizismus verlieh solchen Augenblicken immer etwas Pittoreskes."

Pittoresk oder makellos ist in diesem Roman gar nichts. Hier gibt es Männer, die ihre Kippen auf den Armen von Babys ausdrücken und Kinder vergewaltigen, verzweifelte Schülerinnen, die sich ritzen, weil sie brutalem Mobbing nicht mehr standhalten, Männern und Frauen, die sich gegenseitig unterdrücken, tyrannisiseren, betrügen, zur Weißglut treiben und schließlich zusammenbrechen. Die Reichen haben Macht, die Armen haben nichts und werden getreten.

Wie sehr wünscht man sich für so viele Figuren einen Zauberer Hagrid, der in Pagford auftaucht und sagt: Du gehörst nicht hierhin, in die unbarmherzige Welt der Muggels, in der dich die grausame, dumme Familie Dursley unterdrückt und gängelt. Du bist mehr, du bist ein Zauberer, du darfst in eine Welt kommen, in der Tapferkeit und gute Taten belohnt werden. Gibt's nicht. Hier ist alles trostlos, alles Muggel, alles Dursley. Und die Letzten beißen die Hunde.