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Freitag, 2. Januar 2015

Jostein Gaarder: Der Geschichtenverkäufer


Jostein Gaarder erzählt in diesem Roman aus dem Jahr 2002 von Petter, der Geschichten verkauft. Er verkauft sie, weil er viel zu viele davon hat. „Ich blutete Geschichten und Erzählungen aus", schreibt der Ich-Erzähler. Das hat er schon als Kind getan. Die Eltern getrennt, wächst er bei der Mutter auf und spielt nicht gerne mit anderen Kindern, sondern beobachtet sie lieber. Er ist ein nüchterner Beobachter. Wenn er alleine ist, unternimmt Petter Seelenreisen, fliegt in seiner Fantasie über die Stadt und auf den Mond und sieht sich alles genau an.
 
Er lernt, dass auf dem Schulhof (und im Leben) Prügeln unter Kindern eher akzeptiert und entschuldigt wird, als andere mit Worten zu verletzen, wie er es mitunter tut. Doch er kauft sich frei, indem er anderen Kindern gegen kleine Bezahlung die Hausaufgaben erledigt. Auf die gleiche Weise verdient er später, als Erwachsener, seinen Lebensunterhalt: Er verkauft Autoren seine Ideen, vor denen er übersprudelt. Er ist wie ein Jäger, der Geschichten jagt und erlegt. Das Ausnehmen und Zubereiten überlässt er anderen. „Ich hätte es niemals geschafft, einen Roman zu schreiben, dazu hatte ich viel zu viele Ideen", schreibt er. Sich einer Idee zu widmen, viel Zeit in sie zu investieren, das ist seine Sache nicht.

Petter lässt seine Kunden, die einfallslosen Schriftsteller, die zwar schreiben können, aber keine Fantasie haben, wie Marionetten tanzen. Wie eine Spinne webt er ein feines Netz aus Abhängigkeiten.  Er verkauft die Fantasie, mit der sich die anderen schmücken, Ehre erlangen, bewundert und geliebt werden. Weil er selbst kein Schriftsteller ist und nicht in deren Zwängen, Eitelkeiten und Verletzbarkeiten gefangen ist, kann er einen nüchternen - und für die Leser sehr interessanten - Blick auf das Schriftstellertum werfen.

Er schreibt: „Vielen angehenden Autoren fehlt es an so etwas Grundlegendem wie Lebenserfahrung.... Zuerst lebt man, dann kann man sich überlegen, ob man etwas zu erzählen hat.“ Was Petter übersieht: Er selbst hat nie gelebt. Von Freunden ist keine Rede. Er hat viele Frauen mit der Macht seiner Worte ins Bett bekommen, aber es ist nichts zwischen ihm und diesen Frauen. Auch hier: ein sehr nüchterner, illusionsloser Blick auf das, was sich zwischen Männern und Frauen abspielt.

Nur einmal liebt Petter selbst. Und die ganze Geschichte läuft so unglücklich wie alles in Petters Leben. Er trifft die falschen Entscheidungen, hat das Glück nicht im richtigen Moment auf seiner Seite. Auch das feinmaschige, immer größere und verzweigtere Netz reißt irgendwann, die Autoren rebellieren, der Hass schlägt über Petter zusammen. Und auch seine persönliche Tragödie bricht über ihn hinein, am Schluss, wenn die Handlung dann sehr an Max Frischs "Homo faber" erinnert. Der Ende immerhin ist offen und nicht komplett ausweglos.

Ein Buch über die Macht der Worte, die mehr verletzen können als andere Formen der Gewalt. Psychologisch raffiniert, doppelbödig und höchst anregend für die Fantasie.

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