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Donnerstag, 30. Januar 2014

Haruki Murakami: Die unheimliche Bibliothek

So einfach und poetisch erzählt wie ein Märchen, so unlogisch, grausam und verstörend wie ein Märchen, aber auch so hoffnungsvoll wie ein Märchen – so ist Haruki Murakamis pechschwarze Erzählung „Die unheimliche Bibliothek“.

Ein Junge möchte mehr über die Steuereintreibung im Osmanischen Reich erfahren. Und wenn er etwas nicht weiß, geht er immer sofort in die Stadtbücherei, um es herauszufinden. Nun weiß jeder Bücherfreund, dass die Hüter von Bibliotheken nicht immer auch die Verbündeten der Leser sind. Oft sind es – oder waren es zumindest früher - strenge Beamte, die Lesehungrige mit allerlei Formalitäten und Verboten traktieren.

In diesem Fall entpuppt sich der Bibliothekar sogar als wahres Monster. Er entführt den wissbegierigen Jungen in ein Labyrinth tief unter der Bibliothek und sperrt ihn in ein Verlies. Eingekerkert muss das Kind mutterseelenallein Bücher zur osmanischen Steuereintreibung studieren und auf den Tag warten, da ihm das Bibliothekars-Scheusal den Kopf absägen und das Hirn aussaugen will. Vor dem Jungen – und dem Leser - türmt sich eine Angstwand von kafkaesken Ausmaßen auf.

Aber es gibt einen Ausweg: ein Mann im Schafskostüm, der Donuts backt, und ein zerbrechliches Mädchen, das einen Teewagen schiebt, kommen dem Jungen in dieser surrealen Alptraumwelt zu Hilfe. Murakamis so düstere wie anmutige Erzählung ist bereits 1982 erschienen, wurde aber erst jetzt aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt. Die Berlinerin Kat Menschik hat sie mit beklemmend-holzschnittartigen, farbig hinterlegten Tuschebildern fabelhaft illustriert.

Haruki Murakami: Die unheimliche Bibliothek. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Dumont Verlag. 63 Seiten mit 20 Abbildungen von Kat Menschik. 14,99 Euro.
 
Erschienen in: Schwäbische Zeitung, 30. Januar 2014

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