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Dienstag, 16. Juli 2013

Ernst Jünger: Afrikanische Spiele

„Er verfügte über eine Sprache, die Fenster besaß.“ Stimmt. Das, was Ernst Jünger in dieser Erzählung über einen Soldaten schreibt, kann auch über ihn selbst gesagt werden. Seine Sprache eröffnet ganze Welten. Jedes magisch aufgeladene Wort, jede Formulierung ist ein edler Genuss.
In dieser Erzählung, die Jünger 1936 – also schon zur Zeit seiner inneren Emigration – veröffentlichte, erinnert er sich an ein eigenes Abenteuer. 1913, als 18-Jähriger, riss Jünger von zu Hause aus und schloss sich der französischen Fremdenlegion an, nur um kurze Zeit später auf Betreiben seines Vaters - der Kontakte spielen ließ und viel Geld aufbringen musste – aus Afrika zurückgeholt zu werden.
Exakt so ergeht es Berger, dem Protagonisten dieser Erzählung – womit die Handlung grob skizziert wäre. Er such das Abenteuer und trifft auf Gescheiterte, Gestrandete, Orientierungslose, Schuldige oder auch nur Romantiker und Fernwehkranke wie ihn selbst.
„Da war aber noch ein anderer, wilderer Geist, der mir zuflüsterte, dass die Gefahr kein Genussmittel ist, an dem man sich vom sicheren Sessel aus ergötzen kann, sondern dass die Freude an ihr eine Verpflichtung verbirgt, und dieser versuchte, mich auf die Bühnen hinauszuziehen.“
Afrika ist für ihn  „der Inbegriff der wilden, ungebahnten und unwegsamen Natur und damit ein Gebiet, in dem die Begegnung mit der Außerordentlichen und Unerwarteten noch am ersten wahrscheinlich“ ist.  Das glückselige Land, in dem man vom Gelderwerb unabhängig ist, man lebt von der Hand in den Mund, sammelt oder erbeutet. Hier sind die „Blumen größer, ihre Farben tiefer, ihre Gerüche brennender“.
Er hofft, auch fernab der Bücher, ein märchenhaftes Land zu finden,  „vielleicht einen Ort, an dem die Gesetze aufgehoben sind (...)  auch die Insel der Vergessenheit“, doch er scheitert auf der ganzen Linie. Er findet das Banale. Statt Neuland betritt er eine trostlose Welt der Langeweile auf dreckigen Pritschen, in der es vor allem darum geht, sich vor sinnfreien Befehlen wegzuducken. Während eines Fluchtversuchs versteckt sich Berger in einem Dschungelgestrüpp, das sich bei Tageslicht als simples Artischockenfeld entpuppt. Das trifft es genau:  Afrika ist trivial.
Überall das Gleiche, ausgelatschte Pfade, Gier, Neid und Intoleranz. Davon können auch heutige Reisende ein Lied singen, gerade, wenn sie bewusst off the beaten track unterwegs sein wollen.
„Es gibt da eine wunderbare Geographie“, verrät Berger der wohlmeinende Militärarzt Soupil: Allerdings finde man diese am ehesten in den Büchern.
Berger aber will erleben, er will spüren, er will nicht nur erzählt bekommen, dass jemand einen Fisch gefangen habe: „Man möchte sich die Finger an den stachligen Auswüchsen seines Kopfes blutig ritzen und seinen Leib eng mit den Händen umspannen, um zu prüfen, wie glatt und feucht die Häute, wie stark und geschmeidig die Muskelzüge sind.“ Zumindest in Afrika wird er nicht fündig.
Hier gibt es kein klingelndes Kriegsgetöse, keinen elitären Heldenkult, keinen kraftvollen Aufbruch (mehr). Stattdessen fantasievolle Personenbeschreibungen. Reisegefährte Paul spielt Mundharmonika: „Man hatte den Eindruck, dass dieses Instrument seiner Natur in besonderer Weise entsprach, denn er hatte etwas stark Ausatmendes, Pausbäckiges und gehörte so wohl einem Schlage an, von dem das Volk zu sagen pflegt, dass er auf die unangenehmen Dinge des Lebens pustet oder pfeift.“
Ein Bäckerlehrling unter den Fremdenlegionären trägt die Züge seines Handwerks: „das von der Nachtarbeit in mehlbestäubten Kellern bleiche Gesicht, die müde Wärme der Backstuben und eine Art von lüsterner Frühreife.“
„Afrikanische Spiele“ ist auch ein Buch über den Rausch, im Dahindämmern genauso wie im sinnlichen Erleben. Absinth: „Alle Dinge wandelten sich in viele Sorten von weicher, bunter Watte um.“ Opium: „Du siehst das Kleine unendlich vergrößert und das Große unendlich klein.“ Die Periode vor dem Einschlafen wird zum zögernden Eintreten in eine Höhle. In allem ist Jünger ernst. Ernster als andere deutsche Schriftsteller seiner Zeit  – vielleicht mit Ausnahme Thomas Manns.

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