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Dienstag, 6. März 2012

Oliver Bottini: Der kalte Traum

Ein junger kroatischer Soldat presst einem serbischen Alten voll Zorn die Pistole an die Schläfe. Dieses Foto ist vor 17 Jahren in einer Lokalzeitung erschienen. Es geht der deutschen Journalistin Yvonne Ahrens nicht aus dem Kopf. Sie macht sich in Zagreb auf die Suche nach dem unbekannten Krieger und bringt damit einen Stein ins Rollen, der alle Figuren in Oliver Bottinis Jugoslawien-Thriller „Der kalte Traum“ mitreißt: Ahrens selbst, den planlosen Berliner Ermittler Adamek, den gescheiterten Ex-Diplomaten Ehringer, den ein Verkehrsunfall vom Macher zum Pflegefall herabgewürdigt hat, den kroatischen Geheimdienstler Jordan, für den die Welt nach Jahrzehnten des Kriegs „karstig und sinnentleert“ ist, den Söldner Marx, der ohne Krieg nicht leben kann, den gutbürgerlichen Schwaben Milo Cavar, dessen Bruder Thomas seit 1995 in einem Massengrab in Bosnien liegt – oder doch nicht?

Alle werden im Lauf der aufreibenden Story auf irgendeine Weise Opfer jenes Krieges, der Europas Südosten ein Jahrzehnt lang in Blut tauchte, Nachbarn über Nacht zu Todfeinden machte und – so zeigt Bottinis Roman – auch im Jahr 2010 noch nicht vorbei ist. Nach und nach enthüllen sich Zusammenhänge, kommen immer grausigere Geschehnisse ans Tageslicht. Krimiautor Bottini lässt diesmal erstmals nicht die Freiburger Kommissarin Louise Bonì ermitteln, sondern schafft ein bedrückendes und hochspannendes Panoptikum von Getriebenen und Getretenen. Der Roman jagt den Leser aus dem „sanftmütigen Tal“ um Rottweil ins abweisende Berliner Betongedränge, vom Brandenburger Kranichzuggebiet zu den Schlachtfeldern von Vukovar und Srebrenica. Erzählebenen fließen ineinander über, Zeiten und Perspektiven sind verwoben, die Figuren stimmig und scharf gezeichnet.

Aber: Wer nicht wenigstens ein Grundinteresse für die Umwälzungen auf dem Balkan mitbringt, wird seine Mühe haben. Extrem detailversessen leuchtet Bottini den Konflikt in all seinen Verästelungen und Widersprüchen aus. Ein extrem sinnloser Krieg, in dem es kein Gut und Böse gab, auch wenn alle Beteiligten überzeugt waren, auf der Seite der Guten zu stehen.

Erschienen in Schwäbische Zeitung, 3. März 2012

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