Manchmal ist das Leben so leicht: „Regen, Blaubeersträucher im Wald, ein roter Eimer vor der Sauna, das Mädchen im Haus beim Mittagsschlaf." Für Literaturstudentin Eeva ist das Idyll perfekt, wenn sie sich als Kindermädchen um die kleine Familie der erfolgreichen Psychologin Elsa Ahlqvist kümmern darf. Elsa selbst ist viel auf Reisen. Ihr Mann, der Kunstmaler Martti und die kleine Tochter Eleonoora lieben Eeva. Und Eeva liebt die beiden über alle Maßen. Viel mehr, als gut für sie und die Familie Ahlqvist wäre.
Jahrzehnte später gehen schwarze Schatten um: Elsa hat Krebs im Endstadium. Ihre Enkelin Anna, die sich so gerne fiktive Lebensgeschichten für Passanten ausdenkt, findet ein vergessenes Kleid im Schrank – Eevas Kleid. Für Anna ist das die Initialzündung, das verdrängte Familiengeheimnis um das Kindermädchen Schicht für Schicht freizulegen. Dabei gewinnt sie einen ganz neuen Blick auf ihren Großvater Marttii, ihre Mutter Eleonoora, die Großmutter Elsa und auf sich selbst.
Die Finnen reden nicht viel, heißt es. Und reden sie doch, so haben sie zuvor gründlich nachgedacht. Auf die Figuren in Riikka Pulkkinens Familiensaga trifft das voll und ganz zu. Sie denken und fühlen ausgiebig und sagen ab und zu ein bedeutungsschwangeres Wort, über das sie dann wieder ganz lange nachdenken.
Die 31-jährige Pulkkinnen, deren zweiter Roman „Wahr" in Finnland gefeiert wird, steigt ganz tief hinunter in Gefühls- und Seelenwelten jeder einzelnen Figur. „Die Beziehungen zwischen Menschen sind wie dichte Wälder", lässt sie ihre Hauptfigur Anna sagen. Keine leichte Kost, aber ein eindringlicher Roman über die ganz großen Themen: Kranksein, Sterben, Familie und Freiheit. Vor allem über die Liebe.
Erschienen in Schwäbische Zeitung, 21. März 2012