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Freitag, 27. September 2024

Birgit Vanderbeke: Alberta empfängt einen Liebhaber

„Es gibt Momente, in denen das Leben plötzlich anhält, weil es sich verschluckt hat. Es verschluckt sich, hält an und hält die Luft an, es hält eine ganze Weile die Luft an und weiß nicht, wie es weitergeht, und schließlich atmet es aus, und bis es wieder den Rhythmus findet, Könnte man denken, dass es vergessen hat, wie es sich atmet, aber dann atmet es wieder durch und geht weiter. Aber es hat einen Moment lang angehalten, und etwas bleibt verschluckt und in dem angehaltenen Augenblick eingesperrt…“

Von 1997. Das waren Zeiten. So schreibt heute niemand mehr. So denkt heute niemand mehr. Schreiben und sich platte Handlungen ausdenken (die dämlicher gar nicht gehen, aber das ist ja egal, das interessiert ja nicht), macht heute die KI. Wie viel dadurch doch schon verloren gegangen ist…

Also: Birgit Vanderbeke (1956-2021) lesen, ist ein großer Genussgewinn. Erzählt wird in wunderschöner Sprache und in verschachtelten Ebenen von der Liebe. Es will der Erzählerin nicht gelingen, dieses Ding Liebe zu fassen - und dieses Scheitern fasziniert.

Alberta und Nadan lieben sich lebenslang, auch wenn oder weil sie sich immer nur in kurzen Episoden begegnen. Daneben leben beide ihr jeweils eigenes (Familien)Leben. Sie lieben sich aber „womöglich nur mit dem Kopf und der Seele“. Im wirklichen Leben stört Alberta sich an den profanen Gurgelgeräusch, das Nadan beim Zähneputzen macht: Liebe ist nicht profan. Und Liebe im Kopf ist leichter als Liebe im Leben. Aber das ist nur die Oberfläche, die wirkliche, tiefere Ursache, warum diese beiden endlos aneinander vorbei lieben, kann die Erzählerin einfach nicht ergründen.

Samstag, 14. September 2024

Ingomar von Kieseritzky: Fortune oder die Tücke des Objekts

Weimar, 1854: „Was für ein ödes, müdes Kaff!“ 

In diesem kleinen, aber gehaltvollen Hörspiel des Schriftstellers Ingomar von Kieseritzky (1944-2019) reist eine englische Gruppe von Sammlern - darunter auch eine Lady - nach Weimar. Um einen seltsamen Wunderkammer-Pavillon in der auszustatten, suchen sie nach Devotionalien und kostbare Hinterlassenschaften der alten Klassiker. Aber so einfach, wie sie sich das vorgestellt haben, ist es nicht. 

Was sind finden, sind elegant verpackte, zeitlose Wahrheiten über das Sammeln und Horten, Erinnern und Vergessen, Bewahren und Befreien, den Wert der Gegenstände und die Frage, was mit uns ist, wenn wir endlich bekommen, was wir immer gesucht haben. Hörenswert!

Freitag, 13. September 2024

Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme


Der dichtende Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz erzählt in 19 unerwiderten Briefen von seinem Besuch auf der Insel Eydernorn, wo er seine Bücherstauballergie auskurieren möchte. Aber dieses wundersame Eiland mit 111 Leuchttürmen, seltsamen Bräuchen und noch seltsamerem Getier faszinieren den Lindwurm einfach zu sehr, um hier in Ruhe Kuranwendungen über sich ergehen zu lassen. Er hat viele Fragen…. zu viele?


Ja, Walter Moers ist der große Mann der deutschen Literatur. Aber sein zweiter Vorname ist Längen. Er ist manchmal einfach zu verliebt in seine Einfälle, wälzt sie umfassend und mit allem, was Sprache hergibt, aus. Ist ja auch gut so. Man muss sich eben durchfressen.

Und das lohnt sich ja dann auch. Wenn ein genial porträtierter Widergänger Gottfried Benns als Kurarzt praktiziert. Wenn Mythenmetz jedes Maß verliert beim Speisen im Gasthof Fackelfisch, in dem ausschließlich Getier aus den untersten Meerestiefen serviert wird. Wahrscheinlich wurde nie ein Restaurantbesuch in deutscher Sprache origineller, ideenreicher beschrieben.

Mythenmetz bereichert Moers‘ Kosmos Zamonien - hier gibt es keinen Computer, kein Telefon, kein Radio, keine Fotografie, Elektrizität? Eher nicht. Dampfmaschinen? Denkbar - Mythenmetz selbst bringt da-Vinci-gleich Erdindungen wie die Zahnseide, den Teebeutel, den Strandkorb und die Postkarte hervor. Er entdeckt das Zen in der Kunst des Krakenfiekens - des golfähnlichen Inselsports. Und er will alles über diese maritime Welt wissen.

„Sie haben an ein paar Leuchtturmtüren zu viel geklopft, und jetzt hängen Sie am Haken“, raunt ihm die Eydeertin Nephelenia Mauersegler kurz vor dem großen Showdown zu.

Keine leichte Kost und deshalb ein Hochgenuss. Oder umgekehrt.