Inhaltlich arbeitet Scribner minutiös, das Ganze besitzt leider einen gewissen Aufzählungscharakter und erinnert doch sehr an eine studentische Universitätsarbeit. Also nicht besonders unterhaltsam geschrieben, dafür 50 Seiten Fußnoten und ziemlich bemüht die immer gleichen Erklärungen, dass die Meerjungfrau als Sexsymbol herhalten musste, der Hinweis auf ihren bi-geschlechtlichen Charakter, die Feststellung dass männlich und westlich dominierte Gesellschaften ihr ihre Rollenmuster aufgedrückt haben, von denen sich der Autor doch ein bisschen zu verzweifelt abgrenzt. Gleichzeitig zeichnet Scribner akribisch jede angebliche Sichtung einer Meerjungfrau, in der irgendwann in der Zeitung stand auf (diese immer nach gleichem Schema verlaufenen Sichtungen von Meerjungfrauen machen den Hauptteil des Textes aus), allerdings fast ausschließlich im angelsächsischen Raum.
Und das ist das große Manko. Scribner beginnt zwar mit den alten Griechen, Babyloniern und Assyrern. Ein knappes Kapitel kurz vor Schluss handelt auch noch schnell Azteken, australische Aborigines, fernöstliche Kulturen und andere Meerjungfrauen-Traditionen ab.
Aber der Gang durch die Jahrhunderte geschieht so gut wie ausschließlich in England und den USA. Das geht sogar so weit, dass für den Autor die „künstlerische“ Bearbeitung Meerjungfrauen-Themas erst mit dem Medium Film, Hollywood mit der australischen Schwimmerin und Schauspielerin Annette Kellerman einsetzt. Ein paar Sätze gibt es immer hin für Hans Christian Andersens Kleiner Seejungfrau. Aber kein Goethe, kein Fouqué, keine französische, spanische, russische oder osteuropäische Literatur. Musik, Ballett, Bildende Kunst, Malerei, Skulptur: bestenfalls ganz am Rande gestreift, aber genau hier hat sich doch Jahrhunderte lang die eigentliche Meerjungfrauen-Action abgespielt.
Ein echter Pluspunkt, und deshalb ist dieses Buch ein bibliophiler Schatz, ist dagegen die Gestaltung mit wunderbaren Meerjungfrauen-Gemälden, -Zeichnungen, -Werbeannoncen und -Filmplakaten. Das lässt das Herz höher schlagen und den Wunsch aufkommen, doch einmal so einer sagenhaften Gestalt, halb Frau, halb Fisch, zu begegnen.