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Samstag, 13. Dezember 2014

Bernhard und Ingeborg Rüth: Schwäbisch-alemannisches Krippenbuch

Zwischen Weihnachtskommerz und Christmas-Kitsch gehören Krippen zu den authentischen Dingen, die an den Sinn des Festes erinnern. Sie verbinden Religion, Kultur, Brauchtum, Kreativität, Kunst, Handwerkstradition und Familienvergnügen. Das neu erschienene „Schwäbisch-alemannische Krippenbuch“ zeigt, dass die Menschen im Südwesten ihre „Krippele“ seit jeher geliebt haben und es heute noch tun: Eine „postmoderne Welle der Krippenbegeisterung“ in Baden-Württemberg und Bayerisch-Schwaben machen die Autoren anhand von Krippenwegen, Krippenbauervereinen, Ausstellungen und Museen aus.

Einst brachten die Figuren und Miniaturlandschaften den Menschen in Kirchen und Klöstern das Heilsgeschehen näher. Eine Blüte erlebten sie im Barock, als großartige Klosterkrippen wie in Gutenzell oder Bonlanden entstanden, die noch heute erhalten sind. Vor allem das sogenannte schwäbische Krippenparadies rund um Günzburg und Krumbach birgt barocke Schätze.

Die typisch schwäbische Krippe war als Hügel angelegt. Sie zeigte nicht nur die Geburt des Christkinds zwischen Ochs und Esel, sondern auch andere biblische Szenen, die nach einem festen Kalender durchgewechselt wurden: Anbetung der Hirten, Flucht nach Ägypten, Kindermord des Herodes, Beschneidung Christi, Heilige drei Könige, Predigt Jesu und Hochzeit zu Kana. Einige Krippen stellten das Leiden und die Kreuzigung Christi dar, wie die mehrstöckige Passionskrippe von 1720, die das Schwäbisch Gmünder Museum im Prediger beherbergt.

Unangefochtene Krippenhauptstadt ist Augsburg, wo im Dom eine zwischen 1550 und 1590 entstandene Krippe zu sehen ist. Neben Mindelheim, Rottenburg und Rottweil zählen die Autoren Ellwangen zu den Krippenstädten. Im dortigen Kapuzinerkloster existierte im 18. Jahrhundert eine Krippe mit schwebenden Engeln, die Helfer vom „Engelesboden“ auf die Krippe abseilten. Die Stubenvoll-Krippe im Schlossmuseum gehört zu den bedeutendsten noch heute erhaltenen Barockkrippen.

Auf die Blüte folgte der Bildersturm: Zwischen 1780 und 1840 wurden Krippen vielerorts in Südwestdeutschland verboten. Von „unanständige Schauspielen“, und „buntscheckigen Figuren“, die das Haus Gottes entweihten, ist in Erlassen die Rede. „Das Krippele ist abgeschafft“, notierte ein Dorfpfarrer. Die Krippe wanderte nun in die Bürger- und Bauernstuben, wo sie bis heute Hause ist. In unserer Zeit erfährt die Krippe einerseits eine Kommerzialisierung, andererseits neue Impulse durch Künstler wie den Malerpfarrer Sieger Köder, der in einem Interview zu Wort kommt: Es gehe nicht darum, eine alte Geschichte darzustellen, findet Köder, sondern die Menschen von heute, zum Beispiel die Armen in aller Welt.

Das Krippenbuch bietet obendrein als weihnachtlicher Reiseführer viele Tipps für Entdeckungsausflüge an den Feiertagen, etwa in Klöster und Ausstellungen. So lohnt es sich, im Museum Würth in Schwäbisch Hall Krippen aus aller Welt zu besichtigen. Und schließlich ist es ein Bildband, der einlädt, sich für ein paar Minuten vom Geist der Weihnacht einfangen lassen.

Bernhard und Ingeborg Rüth: Schwäbisch-alemamnnisches Krippenbuch. 352 Seiten, 296 Abbildungen. Kunstverlag Josef Fink. 39 Euro.




Erschienen in Ipf- und Jagst-Zeitung, 13. Dezember 2014

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Erich Kästner: Drei Männer im Schnee

Ein Lesetipp für Sonntagnachmittage im Winter, wenn's draußen ungemütlich ist, zum Mitnehmen auf die Skihütte oder zu mehrtägigen Verwandtenbesuchen zwischen den Jahren: Eine unterhaltsame Wintergeschichte mit Verwechslung, Romanze und aberwitzigen Dialogen.

Kästner, der unter den Nazis nicht veröffentlichen durfte, brachte den Stoff 1934 in Deutschland als Stück unter dem Pseudonym Robert Neuner und mit dem Titel „Das lebenslängliche Kind“ heraus. "Drei Männer im Schnee" heißt die Prosafassung, die zuerst in Zürich erschien.

Der steinreiche Geheimrat Tobler nimmt an einem Reklamespruch-Wettbewerb seines eigenen Unternehmens, der Putzblank-Werke, teil und gewinnt prompt den zweiten Preis: einen Aufenthalt im piekfeinen Grandhotel zu Bruckbeuren in den Alpen. Erstplatzierter ist der glück- und arbeitslose Reklamefachmann Dr. Fritz Hagedorn. Tobler tritt ärmlich gekleidet und inkognito die Reise an. Leider sickert bei der  Hotelleitung und bald auch den anderen Gäste durch, dass ein verkleideter Millionär im Anmarsch ist. Als könnte es gar nicht anders sein, hält man im Hotel den armen Schlucker Hagedorn für den Millionär, Tobler für den Hungerleider.

Mehr unverhoffte Wendungen gibt die Handlung nicht her - Kapriolen schlägt sie nicht gerade. Umwerfend aber sind die verschrobenen Figuren, die Skilehrer, Portiers, Gattinnen, Emporkömmlinge, Liftboys, Bediensteten, Liederjane, Platzhirsche und Pomadenhengste, der staubtrockene Humor, die launigen Dialoge, die witzigen Details. An der Hotelbar turtelt ein sächsisches Liebespaar und der Barkeeper muss, um nicht laut loszulachen, ohne Sinn und Verstand im Eiskasten herumhacken. Der Millionär läuft Schlittschuh, denkt dabei an seine Jugend und streckt sich prompt auf dem Eis lang. Die barsche Haushälterin Frau Kunkel schlägt über die Stränge und lässt sich hinterher erzählen, wen sie während der Zeit ihres Filmrisses alles zum Tanzen aufgefordert hat.

Etwas im satirischen Stil so Gelungenes konnte man in deutscher Sprache erst zig Jahre später, zum Beispiel von Robert Gernhardt, wieder lesen. Wenn man überlegt, was seit Kästner für unsäglicher Schrott geschrieben wurde und immer noch fabriziert wird, ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen. Hier ist keine Minute Lesezeit verschenkt.

Montag, 1. Dezember 2014

Stefan Zweig: Schachnovelle

Manche Bücher lese ich wieder, und sie verlieren dabei den Status als Lieblingsbuch. Die Schachnovelle dagegen hat den Test heute wieder einmal bestanden. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten.
Auf einem Ozeandampfer treffen sich höchst unterschiedliche Gestalten am Schachbrett: Der technisch perfekte, aber dumpfe und geldgierige Schachweltmeister Czentovic, der stiernackige und ehrgeizige Millionär McConnor und der Österreicher Dr. B., der in einjähriger Gestapo-Gefangenschaft zum manischen Schachgenie wurde, weil er die tödliche Leere der Isolationshaft damit ausfüllte, im Geiste gegen sich selbst Schach zu spielen.

Für Zweig, der sich 1942 im brasilianischen Exil das Leben nahm, war die Schachnovelle das letzte Werk. Hier ist noch einmal in unglaublich dichter Form komprimiert, was schon für seine historischen Miniaturen galt: Zweig dringt tief in die Psyche seiner Figuren. Bei ihm liegen die Figuren auf der Couch.

Raffinierter geht es nicht: Zwei lässt zwei Ichs derselben Person gegeneinander Schach spielen. Was Dr. B. mit seinem Selbstversuch hervorruft, ist "der widersinnige Zustand, dass ein und dasselbe Gehirn etwas wissen und doch nicht wissen sollte". B. ist gespalten in ein Ich Schwarz und ein Ich Weiß.
 
Aber ist beim Schach ein Spielen ohne Gegenüber möglich - ist es dann noch ein Spielen, das mit unerwarteten Reaktionen umgeht, oder ein (eine Zweigsche Wortschöpfung) Ernsten? Ein Schachcomputer kann das: Gegen sich selbst spielen. Der Mensch nicht. Für ihn existiert das Ich nicht ohne das Du. Nicht umsonst versucht in Herbert Rosendorfers genialer Endzeitsatire "großes Solo für Anton" der letzte verbliebene Mensch auf der Welt verzweifelt, andere Menschen zu erschaffen.

Das Schachspiel, das die Welt auf 64 Felder reduziert, schafft gleichsam Laborbedingungen und eignet sich hervorragend, um die in der Hirnforschung so beliebten Inselbegabungen, die alles andere ausblenden können, zu thematisieren:
 
"Alle Arten von monomanischen, in eine einzige Idee verschossenen Menschen haben mich zeitlebens angereizt, denn je mehr sich einer begrenzt, umso mehr ist er andererseits dem Unendlichen nahe; gerade solche scheinbar Weltabseitigen bauen in ihrer besonderen Materie sich termitenhaft eine merkwürdige und durchaus einmalig Abbreviatur der Welt." Das ist Zweig pur.

Nun ist das Schachspiel einer der Bereiche, in dem die Maschine den Menschen bereits überflügelt hat. Im letzten großen Kräftemessen 2006 konnte der damalige Weltmeister Wladimir Kramnik  dem Rechner Deep Fritz immerhin noch vier Unentschieden abtrotzen. Gewinnen konnte er nicht mehr. Heute hätte ein menschlicher Spieler nicht mehr die geringste Chance, sagte neulich ein Schachexperte im Radio.
 
Bezeichnend, was bei Spiegel Online 2006 über das Duell stand: "Im Schaukampf gegen Kramnik siegte Deep Fritz nicht, weil er besser spielte, sondern, im Gegensatz zu Kramnik, weil er keine Fehler macht." Kramnik ging immerhin mit einem besonders dummen Fehler, dem Patzer des Jahrhunderts, in die Geschichtsbücher ein. Seht, da ist ein Mensch.
Ich selbst bin ein miserabler Schachspieler. Das soll Zweig auch gewesen sein.